Die dunkle Armee
wird bleiben und eine Bresche in die tsardonischen Linien schlagen, damit einige vielleicht noch am Fuß der Klippe entlang nach Süden fliehen können, aber wie du es auch drehst und wendest, wir müssen einige unserer Leute zurücklassen.«
Roberto kratzte sich an der Stirn. »Das kann doch nicht richtig sein.«
»Nun sage uns«, entgegnete Kell leise und mit vor Erschöpfung bleichem Gesicht, »wer soll leben und wer soll sterben? Schicken wir die Kranken hoch, von denen wir wissen, dass sie auf dem Rückweg nach Estorr sowieso sterben? Oder lassen wir sie als hilflose Opfer hier zurück? Schicken wir die gesunden Männer und Frauen hoch, weil sie für die Konkordanz nützlicher sind, oder sollen sie hier bleiben, damit sie für die Verletzten und Kranken etwas Zeit gewinnen? Ich bin kein Gott, ich kann so keine Entscheidung treffen.«
Roberto seufzte. »Eine Schande, dass die Feinde deine Demut nicht teilen.«
»Noch etwas. Wie können wir diejenigen, die bleiben, so zurücklassen, dass sie Gorian nichts mehr nützen?«, fragte Nunan.
»Wir hätten fliehen sollen, als wir noch die Möglichkeit dazu hatten«, meinte Kell.
»Diese Möglichkeit hatten wir nie«, erwiderte Roberto. »Belaste dich nicht damit. Wir konnten uns nicht verteidigen, solange wir in Bewegung waren, und die Verletzten konnten wir nicht zurücklassen. Die Tsardonier waren besser in Form, zahlenmäßig überlegen und hatten die Toten. Letztere mussten nicht einmal ruhen, wenn wir Ruhe brauchten. Wir mussten sie irgendwann bekämpfen, und heute haben wir sie immerhin zurückgeschlagen.«
»Aber das wird uns nicht retten. Jedenfalls nicht alle.«
»Du hast recht.« Roberto zitterte jetzt. »Es ist offensichtlich, was wir tun müssen, nicht wahr?«
Nunan nickte. »Es tut mir leid, Roberto.«
Er wich Nunans Blick aus. »Ich will eine Weile allein sein und dann noch einmal zu meinem Bruder gehen.«
»Wir schaffen das hier schon.«
»Nicht alles«, sagte Roberto. »Ich muss mit Dahnishev sprechen.«
Damit verließ er den Befehlsstand und blickte den Abhang hinunter. Es war ein schönes Tal. Die Genastroblumen blühten, die Bäume hatten ausgeschlagen und waren voller Saft und Kraft. Überall flogen Vögel. Rings um ihn pulsierte das Leben. Er wischte sich eine Träne aus dem Auge und ging, um sich zu Adranis zu setzen. Dahnishev versuchte nicht einmal, ihn davon abzuhalten.
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859. Zyklus Gottes,
35. Tag des Genasauf
N ame?«, sagte Nunan. Roberto übersetzte für ihn. Adranis war noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen. Einiges sprach dafür, dass er es nicht schaffen würde. Roberto hatte sich an Dahnishevs Schulter ausgeweint und anschließend Nunans Bitte entsprochen, ihm beim Verhör des tsardonischen Kommandanten der Toten zu helfen. Er war ein höchst ungewöhnlicher Mann. Beängstigend. Durch und durch abstoßend, und sein Gesicht war tätowiert, um den Gegnern Angst einzuflößen. Schwarze, blaue und rote Linien bildeten komplizierte Schnörkel und Symbole. Völlig unverständlich.
»Garanth«, erwiderte der Tsardonier und entblößte abgefeilte Zähne, bei deren Anblick Roberto mit den seinen knirschte.
Garanths Hände waren gefesselt. Er stand im Befehlszelt vor ihnen, von drei Männern umringt, die die Hände auf die Hefte ihrer Schwerter gelegt hatten und trotzdem noch nervös waren. Er war ein großer Mann, fast so groß wie Paul Jhered. Unter den Pelzen spielten mächtige Muskeln, und seine ganze Haltung strahlte Kraft aus. Einzeln hätte er jeden Mann im Zelt besiegen können. Glücklicherweise blieb er ruhig.
»Was bist du? Ein Soldat?«, fragte Nunan.
Garanth kicherte.
»Kein Soldat«, erwiderte er mit pfeifendem Flüstern. »Ein Hirte. Ein Vater.«
Nunan zog die Augenbrauen hoch. »Bist du sicher, dass die Übersetzung stimmt?«
»Unbedingt«, erwiderte Roberto, der allerdings Nunans Zweifel gut verstand.
»Das hatte ich nicht erwartet. Ein Hirte der Toten?«
Garanth neigte den Kopf. »Der Weg ist nicht immer klar. Manche brauchen Licht und Anleitung.«
Nunan massierte sich mit Daumen und Mittelfinger die Schläfen, dann schüttelte er den Kopf.
»Ist das ein Rang auf dem Schlachtfeld?«
Wieder ein Kichern.
»Mein Heim sind die Tempel von Khuran.«
»Dann bist du ein Priester.«
»Wenn dir diese Erklärung hilft.«
»Welche Rolle spielst du dann im bewaffneten Kampf?«
Garanth rang offenbar mit sich, ob er darauf antworten sollte.
»Ich diene meinem Herrn«, sagte er
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