Die dunkle Armee
die Flucht gelungen. Noch mehr wären durch die Hände der Tsardonier gefallen und dann unter Gorians Kontrolle zu einem grässlichen neuen Leben erwacht. Wie man es auch drehte und wendete, die Entscheidungen hatten Hunderte zum Tode verurteilt. Sie, Nunan und Del Aglios würden damit leben müssen.
Der Plan sah vor, an der Felswand entlangzureiten bis zu der Straße, auf der die Tsardonier eine starke Verteidigungstruppe postiert hatten. Dort würden sie nicht mit einem Angriff rechnen und wären leicht zu besiegen. Allerdings machte Kell sich Sorgen um das, was danach kommen würde – ein Heer von sechstausend Kriegern, das sie bis Estorr hetzen würde. Sie waren schnell und siegesgewiss und würden nicht von ihrer Beute ablassen, wenn ihr Jagdinstinkt einmal geweckt war. Kell dagegen hatte nur noch ein paar Hundert mutlose, verzagte und geschlagene Reiter hinter sich.
Das Einzige, was sie jetzt noch antrieb, war der Wunsch, nicht auch selbst einer der wandelnden Toten zu werden. Ein Problem war auch, dass die Toten in der Nacht nicht rasten mussten. Sie brauchten anscheinend keine Erholungspausen. Kell hoffte, Robertos Einschätzung sei falsch, aber im Grunde glaubte sie es nicht.
Gerade trat der Botschafter aus dem Zelt ins fahle Morgenlicht. Dahnishev umarmte ihn und redete mit ihm, worauf Roberto den Kopf schüttelte. Dahnishev nickte zwei Triarii zu, die im Zelt verschwanden und kurz danach offenbar mit Adranis’ verstümmeltem Leichnam in einer blutdurchtränkten Decke wieder auftauchten. Roberto berührte sie kurz und legte einen Dolch mit der Scheide darauf, dann trugen die Triarii ihre Last zum Grab.
Kell wollte Trost spenden und ging hinüber. Die beiden Männer standen schweigend nebeneinander. Robertos Augen glänzten feucht; er kehrte dem Grab den Rücken zu und blickte lieber bergab zur Burg.
»Da unten ist es dunkel«, bemerkte er, bevor sie etwas sagen konnte. »Seltsam, dass in der ganzen Burg kein Licht brennt und kein Feuer zu entdecken ist.«
Seine Stimme war tonlos, aber er konnte immer noch klar denken.
»Vielleicht haben wir doch noch etwas mehr Zeit, unsere Leute in Sicherheit zu bringen«, überlegte sie.
Roberto sah sie an, als bemerkte er sie jetzt erst.
»Wir können uns solche Hoffnungen nicht erlauben. Solltest du nicht auf dem Pferd sitzen und bei deiner Kavallerie sein? Die Dämmerung ist nahe.«
»Ja, Botschafter. Aber zu meinen Pflichten gehört es auch, dafür zu sorgen, dass du mit Pavel zum Felsen hochsteigst.«
»Du weißt doch, dass wir warten, bis die Tsardonier mit ihrem Angriff beginnen«, erwiderte Roberto. Er schaffte es sogar zu lächeln. »Der Kapitän sollte als Letzter das sinkende Schiff verlassen.«
»Deshalb wird Pavel der Letzte sein, der den Weg hinaufgeht. Aber du bist der Erbe der Advokatin, und wir sind für deine Sicherheit verantwortlich.«
»Das habe ich ihm auch schon erklärt«, erwiderte Dahnishev.
»Deshalb möchte ich mit allem Respekt darum bitten, dass du jetzt zum Pfad gehst«, fuhr Kell fort. »Solange du nicht aufbrichst, kann ich nicht zu meinem Pferd.«
Roberto hob beide Hände. »Schon gut, schon gut. Eines noch, Dina. Du weißt, was du tust. Jeder Triarii, der dir folgt, weiß, was ihn erwartet. Dreh dich nicht um und versuche nicht, für die Infanterie mehr Zeit zu gewinnen. Wir brauchen dich und deine Kavallerie. Ihr seid die Einzigen, die Botschaften nach Süden bringen können. Informationen sind wichtiger als jede Münze in den Kisten des Schatzkanzlers.«
»Verstanden.«
Als die letzten Krieger der Legion ihre Positionen einnahmen, hörte Kell auf einmal ein Grollen in der Luft. Sie blickte nach oben, doch der Himmel war klar. Auch Roberto hatte es gehört und starrte den Abhang hinunter. Sie glaubte, auch Stimmen zu hören. Rufe. Angespannt lauschte sie.
»Sie kommen«, sagte sie schließlich und hob die Stimme, um ihre Untergebenen einzuweisen. »Bärenkrallen, bewegt euch. Nehmt die Positionen ein und denkt an eure Befehle. Los jetzt, los!«
Die Legionäre rannten an ihre Plätze. Einige Soldaten und Priester des Ordens waren noch damit beschäftigt, die Gräber zuzuschütten. Julius Barias war überraschenderweise noch dort und segnete die Toten. Auf dem steilen, gefährlichen Pfad durch die Felsen drängten sich die letzten Glücklichen, denen die Flucht glücken würde.
»Roberto, du musst jetzt gehen«, sagte Kell. »Sonst schaffst du es nicht mehr.«
Doch Roberto hörte es kaum. Sein Kummer wich
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