Die dunkle Armee
hässlicher Kerl, das muss man ihm lassen. Aber was hat er an der Spitze eines Heeres zu suchen, das nach Gosland marschiert?«
»Er bringt seine Gabe ins Feindesland«, erklärte Hadadz.
»Haben die anderen vor ihm Angst?«
»Sie fürchten, was er repräsentiert.«
»Und was genau soll das sein?«
»Das Tuch, das sich über uns alle legt. Das Netz, dem am Ende niemand entkommt. Den Tod.«
Roberto lachte. »Es tut mir leid, Hadadz, aber das klingt wie ein schlechtes Melodram. Ich empfinde große Achtung vor der Lebensart und den Überzeugungen des sirranischen Volks, aber wenn Stahl auf Stahl prallt, dann sind es Mut, Geschicklichkeit und die Zahl, die den Sieg erringen. Die dort haben nichts davon, im Gegensatz zu meinen Legionen. Wir werden ihnen den Tod bringen, wenn die Tsardonier auf diese Weise in die Schlacht ziehen.«
Hadadz schien nicht beleidigt. Er betrachtete Roberto einen Augenblick, während er nach den richtigen Worten suchte.
»Weit im Süden verbarrikadieren die Karku die Berge, obwohl keine große Streitmacht vor ihren Toren steht. Sirrane schaudert, auch wenn wir den Grund nicht nennen können. Mir ist klar, dass Euch die Wege unserer Wahrheit verschlossen sind, aber Euren Aufgestiegenen würden sie nicht entgehen. Sie würden es sehen. Sie würden es fühlen.«
»Ich kann nicht wegen eines bloßen Gefühls die Wachfeuer anzünden und vor einer Invasion warnen.«
Hadadz’ Beharrlichkeit hatte dennoch eine gewisse Wirkung bei ihm hinterlassen.
»Dann akzeptiert, dass eine Gefahr droht, und bereitet Euch vor. Bedeckt nicht den Himmel mit Flammen, aber lasst in Eurer Wachsamkeit nicht nach. Wir beobachten die Tsardonier seit Jahrhunderten. Sie erkennen genau, wann der richtige Zeitpunkt ist, um etwas zu tun, und sie verzetteln sich nie. Es ist etwas im Gange, und dieses Heer hat den Schüssel für die Schleusentore in der Hand.«
»Was?«, fauchte Roberto. »Das ist noch nur Gerede und Spekulation, und das meiste verstehe ich nicht einmal.«
»Unser Wissen ist unvollständig. Dies ist lediglich eine Warnung.«
»Wir danken Euch dafür, dass Ihr uns darauf aufmerksam gemacht habt. Ich will nicht herablassend sein, aber Ihr müsst die Probleme auch von meiner Seite betrachten.«
»Ich verstehe.« Hadadz verneigte sich. »Ihr solltet bald zur gosländischen Grenze aufbrechen.«
Roberto nickte. »Die Ehre, Eure Gesellschaft zu genießen, wird nur durch die Verheißung übertroffen, dass sie sich wiederholen möge.«
Hadadz lächelte. »Mein Arm und mein Herz gehören Euch.«
»Nun, wenigstens haben wir einiges übereinander gelernt.«
»Dass wir ein gutes Geschäft machen.«
»Fortschritte, Hadadz. Wir sagen, wir machen gute Fortschritte.«
»Wie Ihr wünscht.«
Roberto drehte sich wieder zur tsardonischen Armee um. Schon beim ersten Anblick hatte er mit Verwirrung reagiert, und das hatte sich inzwischen nicht geändert. Er empfand ein Unbehagen, das einfach nicht weichen wollte. Da draußen war eine Streitmacht unterwegs, die man ganz sicher nicht als ernst zu nehmende Invasionsarmee bezeichnen konnte. Doch Hadadz hatte recht, die Tsardonier neigten nicht dazu, Zeit und Kämpfet zu verschwenden. Außerdem hatte Roberto inzwischen genug gelernt, um zu wissen, dass er sich ebenfalls Sorgen machen sollte, wenn die Sirraner beunruhigt waren. Es wäre jedoch eine ganz andere Sache, den Marschallverteidiger von Gosland zu überzeugen.
10
859. Zyklus Gottes,
10. Tag des Genasauf
A m Ende setzte sich die Vernunft durch. Dies und ein paar scharfe Worte von Jhered und der Advokatin reichten aus, um die überbordenden Gefühle zu beschwichtigen. Mirron und fünfzig Gardisten des Aufstiegs unter Harkovs Kommando würden Jhered begleiten, zweihundert Leviumkrieger sollten über Gestern nach Kark reisen, um dort die Bedrohung einzuschätzen und Informationen über Gorians Aufenthaltsort zu bekommen. Ossacer und Arducius würden auf dem Hügel bleiben, um neue Aufgestiegene auszubilden, die, wenn Harban recht behielt, früher als vermutet eingesetzt werden mussten.
»Nun sind die Rollen vertauscht, was?« Arducius wollte einen Scherz machen, scheiterte aber kläglich.
»Eigentlich nicht«, antwortete Mirron.
Sie hatte noch nicht ganz begriffen, was sie jetzt tun sollte und was mit ihr geschehen war. Kessians Verschwinden empfand sie beinahe als etwas Irreales, wären da nicht die leeren Räume und das schreckliche Verlustgefühl gewesen, das sie häufig überkam. Sein kleines
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