Die dunkle Armee
unter ihr und überall in der Umgebung, so weit sie es überhaupt spüren konnte. In der Ferne im Nordwesten legte sich etwas Dunkles über die Welt. Von dort war der Eindruck ursprünglich gekommen, und das Wissen, was es zu bedeuten hatte, trieb ihr die Tränen in die Augen.
Die anderen hatten längst angehalten, und Jhered verscheuchte schon mit lauten Rufen die Einnehmer und Gardisten des Aufstiegs, die ihm im Weg standen. Mirron richtete sich auf und nickte Harkov schwach zu.
»Schon gut«, sagte sie.
Harkov zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich?«
Sie schüttelte den Kopf. Die Schmerzen ließen allmählich nach, und sie konnte wieder klar denken.
»Er hat begonnen«, sagte sie. »Vielleicht kommen wir schon zu spät.«
»Mirron?«, fragte Jhered. »Was ist los?«
Sie lehnte sich kurz bei ihm an, während vor ihren Augen alles verschwamm.
»Gott umfange mich, das war schrecklich.«
»Was war es denn?«
»Als hätte ich in verdorbenes Fleisch gebissen, das vor Maden wimmelt. Es ging mir durch und durch. Verdammt, ich schmecke es immer noch.« Sie spuckte in den Schnee und sah zu, wie der Speichel ein wenig einsank, bevor er abkühlte. »Er ist es. Er lässt die Toten wandeln, ich weiß es.«
»Wo?«
»Weit entfernt im Nordwesten. Mehrere Tagesmärsche entfernt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn ich in der Nähe bin. Irgendwie muss ich es wegschieben, denn sonst wird es mich überfluten.«
Jhered rieb sich über die Bartstoppeln. Sie waren grau und stellenweise sogar schon weiß. Auf dem Hügel war er immer so elegant gewesen, aber hier draußen wurde er wieder zu dem harten Soldaten, der er schon seit seiner Jugend war.
»Wie viele Tagesreisen?«
»Das weiß ich nicht. Es kommt darauf an, ob wir einen Karku finden, der uns durch die Berge führen kann. Auch so dürften es noch drei oder sogar vier Tage sein.«
»Das ist zu lange«, sagte Jhered. »Viel zu lange. Was auch geschieht, es wird vorbei sein, bis wir dort sind. Wir können nichts weiter tun, als landeinwärts zu marschieren, bis wir die Karku finden. Wir müssen sie überzeugen, uns nach Yllin-Qyist und zu Harban zu bringen. Kannst du wieder laufen?«
Mirron nickte. »Was bleibt mir schon übrig?«
»Genau«, stimmte Jhered zu.
»Ich wünschte, wir hätten Maultiere wie beim letzten Mal.«
Jhered kicherte. »Selbst wenn in Ceskas noch der Handel blühen würde, wäre es schwer gewesen, zweihundert Maultiere zu finden. Außerdem hätten sie das Schatzamt in den Ruin getrieben. Hör mal, pass gut auf dich auf. Verbirg deine Gefühle nicht vor mir. Sie könnten uns helfen und uns warnen. Noch wichtiger ist aber, dass du auf dich selbst aufpassen musst. Wir brauchen dich, Mirron. Jeder hier weiß, welche Qualen du an jedem Tag leidest, an dem wir deinen Sohn nicht finden. Wir wollen marschieren, bis wir vor Müdigkeit umfallen, aber du musst es mir oder Harkov sagen, wenn du eine Pause brauchst. Mach dich nicht zur Märtyrerin, das nützt keinem von uns. Wir alle hier sind für dich da. In Ordnung?«
Heftig blinzelnd vertrieb Mirron die Tränen. »Ja«, stimmte sie leise zu.
»Gut«, sagte er. Dann kehrte er zu den anderen zurück und betrachtete den steilen, schmalen Pfad vor ihnen und den schwindelerregenden Abhang auf der linken Seite. Seufzend richtete er sich auf. »Los jetzt! Haltet die Augen offen. Wir müssen möglichst bald Kontakt mit den Karku aufnehmen. Abmarsch.«
Erbarmungslos prasselten die Geschosse herab, den Angreifern schlug eine schreckliche Gewalt entgegen. Pfeile, Speere, mit Schlingen geschleuderte Steine und lose Felsen, die hinabgerollt wurden und kleine Erdrutsche auslösten. Die Wucht der Einschläge riss Männer und Frauen von den Beinen.
Durch sein Spähglas sah Harban, wie Schädel eingedrückt, Gliedmaßen aus Leibern gerissen und Brustkörbe gepfählt wurden. Blut und Fleischfetzen flogen durchs Tal und besudelten die reine Erde. Und doch richteten sich fast alle, die getroffen waren, sofort wieder auf und marschierten weiter.
Er konnte die Furcht, die ihn ergriff, nicht verleugnen. So wie ihm erging es allen Karku und allen Gorthocks. Er wusste nicht, wer diese Kreaturen vorher gewesen waren, bevor sie ergriffen und in dieses Schicksal getrieben worden waren. Gesternier, Atreskaner, Tsardonier. Alle tot, und doch liefen sie. Trotz der Pfeile, die ihre Brustkörbe, die Kehlen und die Hälse durchbohrten, bewegten sie sich weiter. Arme hingen nur noch an Fäden, das Blut
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