Die dunkle Armee
schrieb. Ihren Sohn Roberto, einen der drei Bürger, die als Retter der Konkordanz gefeiert wurden. Neben Gesteris und Jhered gehörte er zu den Männern, die das Volk mehr als jeden anderen verehrten. Sicherlich mehr als die Advokatin.
»Auch das gibt mir noch nicht genug in die Hand, um zu handeln«, sagte sie.
»Herine?«
Sie schüttelte den Kopf. »Entschuldigung, ich habe laut gedacht. Ich glaube ihm. Beim Gott, der uns alle umfängt, wie könnte ich ihm nicht glauben? Aber diese Worte reichen nicht. Er sieht viel. Sieht er nicht auch dies?«
»Natürlich sieht er es«, sagte Gesteris sanft. »Außerdem kennt er das System so gut wie Ihr und weiß um die Möglichkeiten, es zu umgehen.«
»Marcus, ich …«
»Bitte, Herine. Mir ist klar, wie schwierig es erscheinen mag, aber so ist es nicht. Er bittet Euch nicht, mit diesem Brief vor den Senat zu treten. Er bittet Euch, seinem Instinkt zu vertrauen. Vertraut seiner Eingebung und seiner Erfahrung. Ich jedenfalls vertraue ihm.«
»Ich weiß, worum er mich bittet, und mir ist klar, dass auch Ihr ihm glaubt. Gott umfange mich, es steht Euch deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich kenne aber auch den Zustand unserer Schatzkammer, und ich weiß, wie die Bürger sich fühlen. Eine Mobilisierung wird zweierlei auslösen. Es wird unseren Staatsschatz vernichten und die Bürger gegen die Advokatur aufbringen.«
»Außerdem wird es die Konkordanz retten«, fügte Gesteris hinzu.
»Wirklich?«
»Wenn Ihr Eurem Sohn glaubt, dann müsst Ihr auch dies glauben. Die Frage, meine Advokatin, ist im Grunde nur die, ob Ihr Eurem Sohn vertraut. Vertraut Ihr Roberto Del Aglios?«
Das trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht. Sie sah Gesteris scharf an.
»Geht und säubert Euch, Marcus. Bringt Eure Pulver zu D’Allinnius, und dann kommt wieder in den Palast. Ich werde im Genastrogarten sein.«
»Ja, meine Advokatin.«
»Noch etwas, Marcus. Bringt den Marschallgeneral mit.«
15
859. Zyklus Gottes,
24. Tag des Genasauf
M irron war schon einmal auf diesem Weg gereist. In den Berg hinein, wo sich der Fluss aus dem sonnigen Yllin-Qyist in den dunklen Fels stürzte. Sie schauderte, als sie an das tosende Wasser dachte. Damals war sie erst vierzehn gewesen, aber sie träumte immer noch davon. Dieses Mal jedoch würden sie nach rechts und nicht nach links abbiegen. Sie sollten die ersten Fremden sein, die Inthen-Gor, den heiligen Ort der Karku, besuchen durften. Eine unvergleichliche Ehre, die auf einer Tragödie beruhte.
»Es ist sehr schön«, sagte Harban leise und voller Verehrung. »Eine große Höhle und ein See, den wir das Ewige Wasser nennen. Im seinem Zentrum liegt eine Insel, auf der unsere Vorfahren den Herzensschrein errichtet haben. Beide sind für uns so wichtig wie die Luft, die wir atmen. Sie beherrschen unser ganzes Leben und binden uns an die Berge und die Luft und an alle Geschöpfe, die auf dem Weg des Lebendigen und in den Höhlen des Todes wandeln. Jeder Karku muss sich auf diese Reise begeben, um als Erwachsener in seinen Stamm aufgenommen zu werden.«
»Das sagtest du schon beim letzten Mal«, sagte Mirron.
»Die gleichen Worte«, bestätigte er. »Immer die gleichen Worte. Die Schönheit ändert sich nie. Das glaubten wir jedenfalls.«
Darauf verdüsterte sich Harbans Gesicht, und Mirron verspürte den Impuls, ihn zu umarmen. Das hatte jedoch nichts geändert. Sie liefen zu den Booten, die sie in den Berg bringen würden. Schmal und kräftig waren sie, mit Rudern und außerdem mit Stangen ausgestattet, deren verdickte Enden dazu dienten, das Boot von den gefährlichen Felswänden abzustoßen.
Sie sollten alle mitkommen. Alle zweihundert. Der Transport würde den ganzen Tag dauern. So viele wie möglich würden mit den wenigen Booten fahren, die übrigen mussten den längeren und schwierigeren Fußweg auf sich nehmen. Mirron begriff die Geografie nicht. Oben im Berg, gut dreißig Schritte über ihnen, drangen schon etwa neunzig Soldaten zu Fuß in den Berg ein. Sie wünschte sich beinahe, sie begleiten zu dürfen, obwohl sie einsah, warum sie selbst mit dem Boot fahren sollte. Die Wanderung würde mindestens einen Tag dauern, und die Karku. hatten gesagt, vor allem sie müsse vor den Eindringlingen das Allerheiligste erreichen.
»Alles bereit?« Jhered sprang ins vordere Boot und half ihr beim Einsteigen.
»Nein«, erwiderte sie.
»Ich auch nicht«, gab er zu.
Harban ließ sich hinter ihnen auf den mittleren Sitz fallen. Zwei Gardisten des
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