Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
in einem nächsten Krieg verheizt würden.
Über Klara lernte ich die lebendige Arbeiterkultur Berlins kennen, die ihre berechtigten Forderungen nicht nur in Parteien und Gewerkschaften, sondern in der darstellenden und bildenden Kunst ebenso wie in der Musikszene vertrat.
Wir besuchten Liederabende mit Ernst Busch und Lotte Lenya, erlebten mehrere Uraufführungen der Piscatorbühne am Wall und manche Nacht saßen wir auch einfach nur mit Gleichgesinnten am Ufer der Spree und sangen mit großem Idealismus.
… die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
Auch Großvater Vanderborg nahm langsam wieder am gesellschaftlichen Leben teil, allerdings war er kein begeisterter Anhänger der Arbeiterbewegung. »Alles Proleten«, schimpfte er, »laut und ungebildet«, womit klar war, dass das nicht seine Welt war.
»Nichts gegen ihre berechtigten Forderungen«, meinteer, »die unterstütze ich natürlich, aber das Niveau der Auseinandersetzungen lässt doch sehr zu wünschen übrig. Von den gewalttätigen Übergriffen einiger revolutionärer Gruppierungen gar nicht zu reden.«
Er versuchte mir also moderne und fortschrittliche Kultur mit mehr Stil zu vermitteln und schleppte mich dafür in die Oper, das Deutsche Schauspielhaus, in Ausstellungen moderner Künstler und natürlich zu den Kleinkunstbühnen, wo er nach wie vor als Effektbeleuchter sein Zubrot verdiente und jeden Künstler persönlich mit Handschlag begrüßte. Dort stellte er mir auch Kale Kalsen vor, einen Piloten, der an der Westfront über Frankreich abgeschossen worden war und seitdem mit linken Liedern einen weiteren Krieg verhindern wollte. Er spielte brillant Akkordeon und komponierte auch eigene Couplets. Ich schleppte ihn eines Abends mit an die Spree, wo er herzlich von Klara aufgenommen wurde. Wir tranken Bier, und als er mich zu fortgeschrittener Stunde singen hörte, da lobte er meine Stimme und fragte, ob wir nicht mal ein Duett singen wollten. Klara stieß mich an und meinte: »Mal zu, Süße, und danach nimmst du ihn in die Gewerkschaft auf.«
Ich tat beides und sang von nun an mit Kale Kalsen in seinem Kabarettprogramm »Hinter dem Mond« und von Klara vermittelt auch immer häufiger auf Gewerkschaftsveranstaltungen zur Arbeiterbildung.
Det jeht so nich, det darf so nich sein,
Icke hab nix zu fressen, die Jören, die schrein,
Meen Alten, den haben se ausjesperrt,
er streikt, weil sein Lohn keenen Mensch nich ernährt!
Klara war es dann auch, die mir klarmachte, wie wichtig es für mich und die Bewegung war, dass meine Entmündigungdurch Hansmann rückgängig gemacht wurde und ich wieder in den Besitz meiner bürgerlichen Ehrenrechte gelangte.
Mit der Weimarer Republik war das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt worden und ich wollte es unbedingt ausüben, ferner war durch den Tod meiner Mutter Estelle die Frage erneut virulent geworden, wer, solange Utz als verschollen galt, sein Vermögen verwalten sollte. Ich war als gesetzliche Tochter von Utz seine Erbin, und so hatte Friedrich natürlich recht, wenn er meinte, dass sich Hansmann unberechtigt in den Besitz des Vermögens gebracht hatte. Woran ich zunächst gar nicht dachte, war die Tatsache, dass er auch zu meinem Vormund bestellt worden war und ich ohne seine Zustimmung nicht einmal heiraten konnte. Dabei war Heirat inzwischen wirklich ein Thema geworden, denn ich bemerkte etwa im August, dass sich an meinem Körper einiges veränderte, was möglicherweise auf eine Schwangerschaft hindeuten konnte.
Also sprach ich Tante Gertrud eines Abends von Frau zu Frau darauf an. »Hansmann hat mich entmündigen lassen«, sagte ich zu ihr und ließ den Tee unberührt. »Das heißt, er hat mich aller meiner bürgerlichen Rechte beraubt. Wie kannst du als Frau und meine Tante so etwas zulassen?! Müssen wir Frauen nicht zusammenhalten, damit wir in der Männerwelt einen gleichberechtigten Platz einnehmen können? Damit wir den Frieden schaffen, den männliches Macht- und Vormachtstreben immer wieder gefährdet und dem die Söhne unseres Volkes brutal geopfert werden. Ich will wählen können, Gertrud, jede Stimme zählt! Verstehst du? Bitte nutze deinen Einfluss auf Hansmann, damit er die Entmündigung endlich rückgängig macht.«
Sie verstand mich nicht. Sie war zwar eine gebildete Reederstochteraus wohlhabender Hamburger Familie, aber sie war ein völlig unpolitischer Mensch und in ihrer Meinung vollkommen von Hansmann abhängig.
»Ich verstehe deine Probleme gar nicht,
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