Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
entschieden hat, es war keine schöne Kindheit … Und viele junge Frauen, die durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind, werden ihr Kind niemals lieben … es auszutragen, ist für sie wie für das Kind eine Qual.«
Klara nickte, und ehe sie etwas sagen konnte, fügte ich hinzu: »Aber bei mir ist das anders, Klara. Conrad liebt mich, er wird auch das Kind lieben … außerdem weißer noch gar nichts von meiner Schwangerschaft und hat trotzdem schon mehrfach um meine Hand angehalten.«
»So, er liebt dich und er hat schon um deine Hand angehalten … und du? Du redest gar nicht von dir. Liebst du ihn auch? Das ist doch wohl die entscheidende Frage.«
Damit hatte sie natürlich recht und noch vor wenigen Wochen hätte ich mich vor einer Antwort gedrückt.
Nun aber hatte ich um Conrads Leben gefürchtet, hatte ihn mit meinem Blut gerettet und seine Gefühle für mich auch körperlich rauschhaft und beglückend gespürt.
Er war kraftvoll und von einer animalischen Wildheit, wie ich es von ihm nie erwartet hätte, wo er doch immer so behutsam mit mir umgegangen war. Das gefiel mir, sogar sehr, denn ich war selber ungezähmt und gierig in der Lust.
Und weil das so war, schien es mir anfangs keineswegs sicher zu sein, dass ich der Versuchung widerstehen könnte, ihn auf dem Höhepunkt unserer Libido zu beißen, um mir in rasender Begierde sein Blut einzuverleiben. Aber ich hatte es geschafft und wusste seitdem, dass mein Gefühl für ihn tief und ehrlich war, denn aus Estelles Aufzeichnungen und auch aus Friedrichs Erzählungen hatte ich erfahren, dass nur die reine und wahre Liebe unseren vampirischen Trieb bezwingen kann.
Also sagte ich offen und zuversichtlich: »Ja, Klara, ich liebe Conrad und ich freue mich auf unser Kind.«
Da nahm sie mich in die Arme und küsste mich und wünschte mir und dem Kind alles Glück der Welt.
»So, und bis es so weit ist, wirst du gefälligst für die Bewegung weiterarbeiten, glaub ja nicht, du könntest dich jetzt mit Häkelarbeiten zur Ruhe setzen.«
Ich lachte. »Nein, nein, das wird Tante Gertrud schonfür mich erledigen, sie kann sich ja dann auf zweifachen Nachwuchs in der Familie freuen. Sie ist eine regelrechte Glucke!«
Natürlich brannte ich darauf, Conrad die Neuigkeit mitzuteilen, und da ich mir keinen schöneren Ort vorstellen konnte, um es ihm zu sagen, bezwang ich mein Temperament und verriet bis zu unserem Ausflug nach Blankensee am nächsten Wochenende kein Sterbenswörtchen. Onkel Friedrich hatte ich schon vorher eingeweiht, und er war feinfühlig genug, einen plötzlichen wichtigen Termin vorzuschieben, damit ich mit Conrad alleine nach Blankensee fahren konnte.
Conrad war überwältigt, und nachdem wir uns lange und zärtlich geliebt hatten, schlief er mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht ein. Ich aber holte mir die Familienchronik aus meiner Reisetasche, setzte mich an den Sekretär meiner Mutter und begann zu schreiben.
Blankensee, im August 1924
Wieder einmal ist eine Expedition von Jakob Vanderborg in die Karpaten gescheitert. Der Versuch, meine Mutter Estelle aus der Gewalt von Utz zu befreien, misslang und kostete sie das Leben. Sie opferte es für mich, indem sie sich in die Flammen stürzte, die Utz entzündet hatte, um uns am Verlassen der Burg zu hindern. Wir entkamen, aber sie starb, ohne den Letzten aus dem Geschlecht der Przytuleks getötet zu haben. Doch obwohl Utz noch lebt, hoffe ich, dass mit dem Leben meiner Mutter auch der jahrhundertealte Fluch endete, der durch Jakob Vanderborgs Vampirfangmaschine in die Familie Vanderborg eingeschleppt wurde, und dass Estelle in den Karpaten die endgültige Erlösung gefunden hat.
So übernehme ich nun als Estelles Tochter die Aufgabe, als Chronistin des dunklen Zweigs der Familie Vanderborg diese Chronik fortzuführen. Ich werde von denen berichten, die, obwohl nicht menschlich, ihr Dasein mit dem der menschlichen Gesellschaft verbinden und täglich den Ausgleich suchen müssen zwischen menschlichem Streben nach Liebe und Glück und den dunklen Trieben ihrer archaischen Existenz.
Ich bin mir nicht sicher, ob es meiner Generation besser gelingen wird als der meiner Mutter, aber ich wünsche mir, dass von nun an ein glücklicherer Stern über unserer Familie stehen wird.
Ich trage das Kind von Conrad Lenz unter meinem Herzen und bin nicht nur deswegen guter Hoffnung.
Noch sind die Zeiten schwer und das Land stöhnt unter den Kriegsfolgen. Aber es geht aufwärts.
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