Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Kundgebungen und führten sogar auf Lastwagen kurze Theaterstücke auf.
Bei einer solchen gewerkschaftlichen Agitprop-Veranstaltung gegen den Paragraphen 218 lernte ich Klara Zobel kennen und begann mich, von ihr ermuntert, nun ebenfalls aktiv am gesellschaftspolitischen Leben Berlins zu beteiligen.
Es war in diesen Zeiten des Umbruchs einfach nicht möglich, zu Hause zu hocken und Däumchen zu drehen. Besonders als Frau musste ich die Stimme nun auch gebrauchen,die uns per Gesetz durch das aktive und passive Wahlrecht endlich zustand.
Klara war eine kleine, drahtige Person. Sie trug die leuchtend roten Haare zu einem kurzen Bubikopf geschnitten und war schon seit mehreren Jahren im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund organisiert, wo sie seit Anfang des Jahres als Reporterin für die Gewerkschaftszeitung besonders Frauenthemen bearbeitete.
»So lange, bis wir eine eigene gewerkschaftliche Frauenzeitung haben«, sagte sie lachend. »Die wird dann nur von Frauen für Frauen gemacht. Willst du nicht auch dabei mithelfen?« So war sie, voller Ideen und ständig dabei, Mitstreiter für deren aktive Umsetzung zu gewinnen.
Sie kannte das Kommunistische Manifest auswendig, sang zur Klampfe laut und schräg sämtliche Lieder der Arbeiterbewegung und fluchte beim Bier wie ein Stahlarbeiter. Außerdem hatte sie Humor und war auch noch hochintelligent, denn sie hatte die höchste Quote bei der Werbung neuer Gewerkschaftsmitglieder. Müßig zu sagen, dass sie auch mich mit überzeugenden Argumenten zum Beitritt bewegen konnte. Bei unserer ersten Begegnung stand sie mit einem Megaphon auf einem Lastwagen vor dem Reichstag und forderte jeden vorbeigehenden Abgeordneten auf, für die Abschaffung des Paragraphen 218 zu stimmen, weil er Frauen diskriminiere. Es war ein stockdüsterer Tag, an dem es schon morgens nicht hell werden wollte, und der Regen rauschte unablässig vom Himmel auf alles und jeden nieder.
Friedrich hatte mich herausgelockt, weil er meinte, dass durch diese Wolkendecke heute kein Sonnenstrahl mehr brechen würde und für uns also kein Risiko bestand.
»Ich muss dir eine Freundin zeigen«, meinte er geheimnisvoll.»Sie ist ein Phänomen und wird dir gefallen. Wenn du selber politisch aktiv werden willst, bist du bei ihr richtig. Sie kann jede Unterstützung gebrauchen.«
So ging ich mit, war aber doch ziemlich skeptisch. Auch, was das Thema anging, denn mir leuchtete es überhaupt nicht ein, warum das Abtreibungsverbot aufgehoben werden sollte und wieso das auch noch im Sinne der Frauen sein sollte.
Ich erinnerte mich an die Eintragung meiner Mutter in der Familienchronik über den Besuch bei der Engelmacherin, und was sie da schrieb, rechtfertigte jedes Verbot und strengste Bestrafung bei Zuwiderhandlung.
Das Schlimmste aber war der Gestank, der in ihrer Wohnung herrschte, und als ich mich entsetzt umsah, machte ich auch die Quelle des Übelkeit erregenden Geruchs aus. In einer Ecke neben dem Küchentisch war der Vorhang vor einer Nische mit einem Waschbecken fortgezogen und mein Blick fiel ungehindert auf eine Schüssel mit den zerstückelten Resten eines menschlichen Säuglings.
In einer ihrer depressiven Phasen hatte meine Mutter allen Ernstes erwogen, mich abzutreiben, was mich zutiefst verletzte, als ich es las, denn ich betrachtete es als ein weiteres Zeichen ihrer Lieblosigkeit. Natürlich rechnete ich es ihr dann wieder hoch an, dass sie sich nach dem Besuch bei der Engelmacherin anders und zwar für mich entschied.
Nach den Gesprächen mit Klara verstand ich jedoch ihre damalige Notlage viel besser und hielt es darum für wichtig, dass Frauen die Entscheidung, ob sie ein Kind austragen wollten oder nicht, selbst überlassen sein sollte. Aufgabe des Gesetzgebers musste es sein, die Würde unddie Gesundheit der Frauen zu schützen, indem er die Abtreibung legalisierte und dubiosen Geschäftemachern das zweifelhafte Handwerk legte. Zu widerlich waren die Zustände bei illegalen Abtreibungen.
»Wir unterstützen die Frauen in dieser Sache«, sagte Friedrich. »Und wenn du meine persönliche Meinung hören willst, die steht hier auf dem Flugblatt für das Antikriegsmuseum.«
Er drückte mir einen Zettel in die Hand. »Keine Kinder als Kanonenfutter!«, las ich. Ein Motto, das Klara sofort für unsere nächste Agitation aufgriff. Jeder musste wirklich selber wissen, ob er dem Staat Kinder schenken wollte, schließlich konnte man nie sicher sein, ob die nicht, wenn es denn Söhne waren,
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