Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
sein Vater sich zwar auf Technik, Elektrizität und Maschinen, aber nicht auf Medizin und Chemie verstünde.
»Eher kann dein Conrad in der Sache experimentieren. Aber ich glaube, dass Blut ein sehr spezieller Saft ist, der nicht so leicht chemisch herzustellen ist. Man hätte es sonst zu medizinischen Zwecken sicherlich schon getan.«
Als er meine Enttäuschung bemerkte, meinte er jedoch ermunternd: »Wir werden dranbleiben, Amanda. Wenn ich jemanden kennenlernen sollte, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, werde ich ihn bitten, verstärkt in unserem Interesse zu forschen.«
Ich nickte. »Irgendwann wird man gewiss in der Lage sein, ein künstliches Blut zu erzeugen, das uns von dem Fluch befreit, für unser Überleben Menschen töten zu müssen. Dann wird ein neues Zeitalter anbrechen, in dem Menschen und Vampire friedlich zusammenleben können.«
Friedrich lachte zynisch. »Ich wäre schon froh, wenn es die Menschen endlich schaffen würden, untereinander Frieden zu halten.«
Danach sah es in der Tat mal wieder gar nicht aus. Die Inflation war zwar inzwischen durch die Währungsreform wirksam bekämpft worden, aber die Arbeitslosenzahlen stiegen beständig an. Das Elend der Industriearbeiter, die zu Hungerlöhnen ihre Arbeitskraft ausbeuten lassen musstenund deren Familien in bitterster Armut in menschenunwürdigen Mietskasernen kaum ihr Dasein fristen konnten, nahm ein bedrückendes Ausmaß an.
Natürlich richtete sich der Unmut auch gegen die Kriegsgewinnler und gegen die Siegermächte, die erbarmungslos die Reparationszahlungen einforderten und die junge Republik damit heillos überforderten. Demokratie lebt sich schwer in wirtschaftlich derart unsicheren Zeiten, und es entsteht schnell ein Sumpf von Unzufriedenheit und Zukunftsangst, der ein idealer Nährboden für Demagogen ist.
Entsprechend heftig wurde darum auch um die Richtung der Politik in der Weimarer Republik gerungen, und zwar nicht nur im Parlament, sondern auch in außerparlamentarischer Opposition. Straßenkämpfe zwischen kommunistischen und rechtskonservativen Gruppen gehörten zum Alltag, und überall rollten die Lastwagen mit Agitprop-Truppen und lieferten mit Sprechchören, Musik und Theater ihre Ideologie dem Bürger frei Haus.
Friedrich hatte begonnen, in Berlin sein altes nachtaktives Leben aufzunehmen. Er traf alte Künstlerfreunde wieder und engagierte sich nun auch politisch. Pazifist mit ganzer Seele half er beim Aufbau des Antikriegsmuseums in der Parochialstraße, eines Ladenlokals mit einem Schaufenster. Es befand sich in einem kleinen, alten eingeschossigen Haus unter einem verwitterten, windschiefen Dach, mit Butzenscheiben und Geranien vor den Fenstern des ersten Stocks.
Ich besuchte Friedrich dort eines Abends und sah mir die Dauerausstellung an, die vor allem anhand von Fotos die Erinnerung an den Großen Krieg wachhalten wollte, damit niemand mehr bereit war, von deutschem Boden aus Krieg zu führen. Es waren schreckliche Bilder, oft bewusstmit provokativen Kommentaren unterlegt. Erschüttert stand ich vor den Aufnahmen von Schwerstverwundeten … Soldaten ohne Arme, ohne Beine, ohne beides, ohne Münder, Augen, Nasen, Ohren, fast das ganze Gesicht weggeschossen … so wie ich sie in der Anstalt gesehen hatte … Fratzen des Krieges! Und doch immer noch Menschen!
Ich war wie betäubt von der Grausamkeit dieses Krieges, der auch mich nicht verschont hatte, als er mir meinen Vater entriss. Fürs Vaterland auf dem dreckigen Feld der Ehre gefallen! Im Morast der Schützengräben verreckt, von Granaten zerfetzt …? Ich würde es nie erfahren. Die Tränen liefen mir über das Gesicht und ich wünschte mir, dass möglichst viele Menschen dieses Museum besuchen würden.
Wer hier nach einem Rundgang nicht begriff, dass Kriege nur den Mächtigen dienten und für den kleinen Mann aus dem Volk einzig Grauen und Tod bedeuteten, dem war nicht mehr zu helfen.
B
erlin vibrierte, immer mehr Menschen zog es in die Hauptstadt, und wer Arbeit hatte und Auskommen, der genoss das gewaltige freche und frivole Kultur- und Vergnügungsangebot der Großstadt in vollen Zügen.
Aber das Leben großer Bevölkerungsteile war von Ausbeutung und Verelendung bestimmt, und ihr beklagenswertes Los wurde nicht nur in den politischen Auseinandersetzungen, sondern auch in den Künsten plötzlich ein zentrales Thema.
In der Roten Gruppe organisierten sich kommunistisch orientierte Künstler wie George Grosz, John Heartfield und Erwin
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