Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
Vom Netzwerk:
Zustand eines Vollrausches gänzlich danebenbenommen.
    Nichts an ihm deutete darauf hin, dass er jemals irgendjemand anders als mein geliebter Ehemann gewesen war. Ich begann an meinem Verstand zu zweifeln und fragte mich, ob ich mir die schreckliche Verwandlung Conrads in der Hochzeitsnacht vielleicht nur eingebildet hatte. Zwar konnte ich mir nicht erklären, warum ich so etwas hätte tun sollen, schwieg aber dennoch erst einmal dazu. Später wollte ich mit Conrad darüber sprechen, und er würde sicherlich bei Freud oder Jung eine Erklärung dafür finden, aber nicht jetzt sofort. Er brauchte zunächst ein warmes Bad und meine liebevolle Fürsorge.
    Da Conrad sich sehr erschöpft fühlte, stellte ich ihm, während er im Bad war, einen kleinen Imbiss aus mitgebrachten Leckereien vom Hochzeitsessen zusammen, und nachdem er ihn verspeist hatte, sank er sofort in einen Tiefschlaf.
    Dann drängte es mich allerdings in die Bibliothek, um dort nach dem Buch zu suchen, das mir der Großvater einmal gezeigt hatte und in dem allerlei Fabelwesen und Gestaltwandler von der Antike bis in die Gegenwart abgebildet waren.
    Ich fand das Buch. Es war sogar mit einigen farbigen Drucken ausgestattet und wirklich informativ. Was immer sich an Fabelwesen in der Fantasie der Menschen und im Himmel und auf Erden tummelte, war abgebildet und mit kurzem Text beschrieben. Auch Vampire und Werwölfe.
    Als ihre Heimat gelten die Karpaten, ein wildes Hochgebirge, in dessen entlegene Regionen selten ein Mensch seinen Fuß setzt.
    Ich stockte und Verzweiflung griff mir ans Herz. Lebhaft sah ich die Szene vor mir, als sich der riesige schwarze Wolf in Conrads Oberschenkel verbiss, und ich erinnerte mich, dass ich von Anfang an das Gefühl hatte, dass dieses Tier kein normaler Wolf war.
    Wird ein Mensch von einem Werwolf gebissen, so wird er nach einer gewissen Zeit der Karenz zu einem Gestaltwandler, der immer zur Zeit des Vollmonds in seine tierische Existenz schlüpfen muss und bei der Jagd nach Beute Tod und Verderben bringt.
    Mit Schaudern erinnerte ich mich daran, wie Conrad im Licht des Mondes stand, sich die Kleider vom Leib riss und vor meinen Augen zu einem Wolf mutierte, und dann, kurz bevor er mich beißen wollte, aus dem Zimmer hinaus in die Wälder floh. Sollte das nun jeden Monat sein Schicksal sein – unter der hellen Scheibe des Vollmonds zu einer Bestie zu werden, die nur eins im Sinn hatte, Beute zu schlagen?
    Für den Unglückseligen, den der Fluch des Werwolfs getroffen hat, gibt es nur eine Erlösung, den Tod durch eine silberne Gewehrkugel. Gegen alles andere ist ein Werwolf gefeit, und wenn ihn niemand erlöst, führt er in alle Ewigkeit ein ruchloses und verdammtes Leben und verwandelt sich bei jedem Vollmond in eine reißende, blutrünstige Bestie.
    Ich schloss das Buch und stellte es mit bebenden Händen in das Regal zurück. Sekunden später brach ich in Estelles Lesesessel zusammen. »Nein, Conrad«, schluchzte ich, »nein!« Und wusste doch, dass es so war. Und wieder einmal zerbrach meine Hoffnung auf ein bisschen persönlichesGlück, und auf den dunklen Zweig der Vanderborgs senkte sich eine Finsternis, die selbst die Liebe blind zu machen drohte.
     
    Am nächsten Tag holte ich mir die Chronik hervor und kam meiner Pflicht als Chronistin nach. Aber mir fehlten die Worte, das Grauen der Nacht zu beschreiben. So beschränkte ich mich auf die objektiv nachprüfbaren Ereignisse.
    Blankensee, im November 1924
     
    Am 11. November 1924 schloss ich, bezeugt von Klara Zobel und Friedrich Vanderborg, mit Conrad Lenz vor dem Standesbeamten von Berlin-Schmargendorf die Ehe.
    So groß mein Glück ist, so tief ist doch auch die Trauer über den plötzlichen Herztod meines geliebten Großvaters Jakob Vanderborg, der am Abend des 11. November 1924 noch auf der Hochzeitsfeier im Hause seines Sohnes Hansmann in Berlin verstarb.
     
    Amanda
     
    Wir kehrten noch am Abend desselben Tages nach Berlin zurück, um die Beerdigung meines Großvaters vorzubereiten.
    Conrad war auf der Fahrt schweigsam und in sich gekehrt. Erinnerte er sich doch? Nein, er war wohl nur erschöpft. Was mochte er in der Gestalt eines Wolfes getrieben haben?
    Ich erfuhr es am Anfang der Woche aus der Berliner Illustrirten Zeitung , wo in einem Bericht aus dem Umlandein schreckliches Massaker in einer Schafherde in der Nähe von Blankensee gemeldet wurde. Alle Anzeichen deuteten auf einen Wolf hin. Einen Einzelgänger, der wohl aus Polen oder Russland

Weitere Kostenlose Bücher