Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Zufluchtsstätte für den dunklen Zweig der Familie Vanderborg ausbauen ließ. Dennoch regte mich der ständige Streit zwischen den Brüdern auf, besonders weil mich ganz andere Probleme beschäftigten. Die fortgeschrittene Schwangerschaft empfand ich nun doch als sehr beschwerlich und Conrads erschreckende Verwandlung verdunkelte mir die Seele und dämpfte die Vorfreude auf die Geburt. Darüber hätte ich gerne mit Friedrich gesprochen, und so ärgerte es mich, dass er offensichtlich kein anderes Thema hatte.
»Gib doch erst einmal Ruhe«, bat ich Friedrich also ziemlich ungehalten. »Solange die Entmündigung nicht aufgehoben ist, haben wir doch ohnehin keine Möglichkeit.«
»Das ist es ja. Hansmann hintertreibt das Verfahren. Er hat überall Kunden des Bankhauses sitzen, die für einen kleinen Kredit von ihm gerne mal ein paar Akten verschlampen oder ein Verfahren verschleppen.«
»Er ist nicht allmächtig, und was Recht ist, wird auch Recht bleiben in dieser Republik. Du vergisst, dass wir in einer Demokratie leben.«
»Eine Demokratie ist nur so demokratisch wie ihre Bürger«, entgegnete Friedrich. »Die Deutschen haben noch viel Nachholbedarf, was das angeht. Jahrhunderte eines korrupten kaiserlichen Beamtenstaates lassen sich nicht mit ein paar Federstrichen unter einer republikanischen Verfassung in ein demokratisches Staatswesen transformieren.«
»Du siehst das alles zu schwarz, Friedrich, wir stehen am Anfang einer neuen Zeit.«
»Das dachten wir um 1900 auch und steigerten uns alle in eine Euphorie, die uns dann doch nur in den GroßenKrieg geführt hat. Nein, Amanda, idealistische Hoffnungen vernebeln wunderbar das Gehirn, aber sie machen keinen Hungrigen satt. Und auch dir wird es noch leidtun, dass du dein Vermögen jetzt leichtfertig Hansmann in den Rachen wirfst, nur weil du ein wenig Auseinandersetzung scheust und darum lieber auf dein gutes Recht verzichtest. Irgendwann, wenn du für dich und dein Kind weder Haus noch Auskommen haben wirst, Amanda, dann denk an meine Worte. Ich lege mich nicht aus Spaß mit Hansmann an. Wie wären wir alle ohne das Gut Blankensee über die schlechten Zeiten gekommen? Hansmann weiß das und darum gibt er es nicht her. Von all dem Prunk in der Villa kann niemand satt werden, er möchte darum Blankensee für sich in der Hinterhand behalten. Du darfst es bewohnen und bewirtschaften, aber besitzen wirst du es, wenn es nach Hansmann geht, nie. Und das ist nicht im Sinne von Estelle, und darum kämpfe ich um Blankensee, egal ob du mich dabei unterstützt oder nicht. So ist es jedenfalls inakzeptabel!«
Ich brach in Tränen aus. »Inakzeptabel ist, dass ihr, du und Hansmann, an meinem Hochzeitstag euren Vater deswegen ins Grab gebracht habt. Ich hasse euch beide dafür!«
Über diesen Streit kam ich nicht dazu, mit Friedrich über Conrad zu reden, was ein schwerwiegender Fehler war.
Kurz nach der Beerdigung von Großvater Vanderborg schenkte Brünhilde einem Jungen das Leben, welcher nach einem mit Hansmann befreundeten Chefredakteur des Völkischen Beobachters den Namen Alfred erhielt. Er war in Gewerkschaftskreisen als ein antisemitischer Hetzer bekannt, der zahlreiche Essays zur »jüdisch-freimaurerischenWeltverschwörung« verfasst hatte und seit dem Marsch der NSDAP auf die Feldherrenhalle in München als ein Anhänger von Adolf Hitler galt, einem vornehmlich in Bayern agierenden Berufsrevolutionär mit albernem Schnauzbart. Friedrich und Klara mokierten sich sofort über diese Namensgebung, mehr aber noch über die Freundschaften, die Hansmann pflegte.
»Was hat er mit diesem Hanswurst zu tun«, schimpfte Friedrich, und Klara meinte, dass man schon beim Lesen des Völkischen Beobachters gar nicht anders könne, als rot zu werden, politisch und vor Zorn!
»Diese Rassenhetze ist doch ein absoluter Blödsinn! Ganz Europa ist ein Schmelztiegel von Rassen und Völkern, daraus zieht es ja seine Kultur und Gestaltungskraft!«
Ich mischte mich da nicht ein, denn ich verstand von diesen Dingen zu wenig. Allerdings war mir nach dieser Debatte klar, dass mein Kind niemals den Namen eines antisemitischen Hetzredakteurs bekommen würde, da wir solche Leute sowieso nicht kannten.
Dann waren auch bei mir die Anzeichen einer baldigen Niederkunft nicht mehr zu übersehen.
Es ging mir inzwischen sehr schlecht und jede Nacht befielen mich Abträume, in denen ich mein Kind verlor. So suchte ich in Klaras Begleitung noch einmal eine Hebamme auf, die ebenfalls in der
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