Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
zugewandert sei. Die Jägerschaft werde das Tier in kürzester Zeit abschießen, damit es nicht zu einer Gefahr für die Bevölkerung wurde.
Conrad sah zwar einen Moment das Foto der toten Schafe an, murmelte aber nur: »Das sollen die mal machen, ihn schleunigst abschießen. Mir reichen meine Erfahrungen aus den Karpaten. In Blankensee müssen wir solche Bestien wirklich nicht haben.«
Er legte die Zeitung weg und strich liebevoll über meinen Bauch, der nun schon sehr auffällig rund war.
»Nicht wahr, Liebes, unser Kind soll dort sicher aufwachsen.«
Er erinnerte sich tatsächlich an nichts, was mir ein Gespräch mit ihm sehr schwer machte. Aber wenn ich in meiner Angst nicht wahnsinnig werden wollte, musste ich umgehend mit Friedrich sprechen. Nur ihm konnte ich dieses grauenhafte Geheimnis anvertrauen und ihn um Rat fragen.
W
ährend unserer Abwesenheit war Großvater Vanderborg im Foyer der Villa aufgebahrt worden. Der offene Sarg stand in einem Meer aus weißen Lilien, die um diese Jahreszeit ein Vermögen gekostet haben mussten. Aber gewiss hatte wieder Gertrud Hansmann zu dieser Großzügigkeit gedrängt.
Als ich mit Conrad an den Sarg trat, traf ich dort auf Wilhelm und seine Frau Brünhilde.
Sie war hochschwanger und schien mir jeden Tag niederkommen zu können. So sagte ich ihr ein paar nette Worteund wünschte ihr alles Gute für die Geburt. Wilhelm strahlte, was ich bei allem Verständnis für den werdenden Vater am offenen Sarg seines Großvaters für etwas fehl am Platze hielt, und verschwand dann mit seiner Kindsmutter. Dass die beiden aus Liebe geheiratet haben könnten, zog ich nicht im Mindesten in Erwägung. Sie hatte Geld, das stand außer Frage, und genau wie Hansmann Gertrud rasch »einen Braten in die Röhre« geschoben hatte, wie Friedrich mir erzählte, so hatte es wohl auch sein Sohn bei Brünhilde gemacht. Aber natürlich war ich mit meiner Kugel die Letzte, die sich darüber das Maul zerreißen durfte. Manchmal passierten diese Dinge eben auch ohne alle Absicht. Warum nicht sogar einem Spross von Hansmann!
Ich stand lange bei Großvater am Sarg. Der Bestattungsunternehmer hatte ihn sehr schön hergerichtet, nur leider sah er nicht mehr wie Jakob Vanderborg aus.
Viel hatte ich aus der Chronik über ihn erfahren, und ich bedauerte es zutiefst, dass mein Kind ihn nicht mehr kennenlernen konnte. Er war ein Mensch mit Fehlern, gewiss, mit Geld konnte er nicht gut umgehen, aber er war ein kreativer Kopf, seine Illusionsmaschinen waren so pfiffig, dass sie immer noch in Varietés für Aufsehen sorgten. Außerdem hatte er ein gutes Herz, mit dem er für seine Familie immer nur das Beste wollte. Allerdings war er auch, was seine Erfindungen anging, von einer gewissen Hybris, und ich war mit sicher, dass, wenn es eine Macht gab, die sich Schicksal nannte, er diese tatsächlich durch seine Vampirfangmaschine herausgefordert hatte. Nur so war es zu erklären, dass von da an das Schicksal der Familie Vanderborg einen derart tragischen Verlauf nahm. Sosehr mich sein Verlust auch schmerzte, so sehr hoffte ich, dass nun mit seinem Tod auch die Schuld getilgt war, die er durchsein verwerfliches Experiment auf sich geladen hatte, und der Fluch enden würde, unter dem die Familie seitdem zu leiden hatte.
Blankensee, im Dezember 1924
Die feierliche Beisetzung der sterblichen Überreste von Jakob Vanderborg geschah am 21. November 1924 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zu Berlin. Die Trauergemeinde nahm in einer würdigen Feier Abschied und der Große Pilati sprach am offenen Grab bewegende Worte der Erinnerung.
Die Familie ist starr vor Trauer. Er war stets das ausgleichende Element zwischen Friedrich und Hansmann. Wie soll es ohne ihn mit dieser Familie nur weitergehen?
Amanda
Wie ich befürchtet hatte, brach der Zwist zwischen Friedrich und Hansmann wegen der Vermögensstreitigkeiten nun voll aus. Mir hätte es genügt, wenn Hansmann mir Blankensee überlassen hätte, aber er war zu keinem Entgegenkommen mehr bereit.
Alles, was ich besaß, war ein Anteil an der Wohnung in der Brüderstraße, die der Großvater mir und Friedrich hinterlassen hatte.
Conrad war dort angemessene Zeit nach der Beerdigung ebenfalls eingezogen und wir hatten eigentlich allen Komfort, den es brauchte.
Natürlich war auch ich daran interessiert, Blankensee in meinen Besitz zu bringen, denn meine Mutter Estelle hätte es so gewollt, weil dort das Geheime Gewölbe war, dassie als
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