Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
schon am Tage aufbrechen und erreichten Blankensee ohne Zwischenfälle. Es wurde angeheizt und bald herrschte im Haus Gemütlichkeit und geschäftiges Treiben.
Mir war das bald etwas zu viel Trubel, und so zog ich mich in die Bibliothek zurück, holte die Familienchronik aus der Reisetasche und setzte mich an den Schreibtisch meiner Mutter.
Blankensee, 11. Dezember 1924
Ich bin mit Conrad, Friedrich und Klara auf Blankensee. Nur hier können meine Kinder geboren werden. Auch wenn es ein wenig an Komfort mangelt. Irgendwann wird das Gut mir gehören und die Zwillinge werden hier aufwachsen, so sollen sie auch auf Blankensee das Licht der Welt erblicken. Das hat Conrad schließlich auch eingesehen. Er ist Arzt und wird mir beistehen können.
Auch Klara ist mir gewiss eine große Hilfe. Obwohl sie mehr Angst zu haben scheint als ich, dabei hat sie nicht einmal Estelles Eintragung zu meiner Geburt gelesen, die ja wirklich schrecklich dramatisch verlaufen ist.
Ich will hoffen, dass meine Kinder es mir nicht so schwer machen, wie ich es meiner Mutter gemacht habe.
Einen Vorteil habe ich zumindest, denn ich kann mir sicher sein, dass Conrad ihr Vater ist. Darum werden sie auf jeden Fall Kinder der Liebe sein.
Amanda
Teil vier
Blutrausch
… so weiß ich heute nicht mehr,
ob du noch Hände haben wirst,
die Asche, die von mir übrig sein wird,
zu sammeln
Dorothee Sölle
I
ch stand mit Klara am Fenster des Salons und sah mit ihr hinaus in das Schneetreiben. Würde es wieder so ein kalter Winter werden wie in den Hungerjahren, von denen meine Mutter in der Chronik berichtet hatte?
Ach, daran wollte ich jetzt nicht denken. Mit Klara an meiner Seite war das auch gar nicht möglich, denn ihr Mundwerk stand selten still und ihre bissigen Kommentare waren die Glanzlichter jeder Agitation. Auch jetzt redete sie beständig auf mich ein, allerdings viel liebenswürdiger. Sie war sehr beeindruckt von dem Gut, denn sie stammte selber aus ärmlichen Arbeiterverhältnissen.
»Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, dass du so ein herrliches Anwesen besitzt«, meinte sie neidlos.
»Noch besitze ich es nicht, Klara«, dämpfte ich ihre Begeisterung, »und ich fürchte genau wie Friedrich, dass weder Utz noch Hansmann es jemals an mich abtreten werden.«
Unsinn«, sagte Klara jedoch im Brustton der Überzeugung, »da siehst du bestimmt zu schwarz. Jetzt bring erst mal deine Kinder zur Welt!«
Kinder?! Als hätten die nur auf das Startzeichen gewartet, durchlief mich ein plötzlicher stechender Schmerz und dann fühlte ich, dass es zwischen meinen Beinen sehr feucht wurde …
»Klara, ich, ich glaube, ich verliere Fruchtwasser … es scheint loszugehen!«
Bald rollten die Wehen immer gleichmäßiger und in sich verkürzenden Abständen über mich hinweg. Der Schmerz war beträchtlich, aber nicht so grauenvoll, wie ich ihn mir nach dem Geburtsbericht meiner Mutter ausgemalt hatte. Obwohl ich einen unglaublichen Körperumfang hatte, war mir die Schwangerschaft nicht schwergefallen. Ebensowenig wie Brünhilde, die, wie Wilhelm prahlte, ein sehr gebärfreudiges Becken hatte. Da schien ich durchaus mithalten zu können. Ich war zwar nicht so stämmig wie sie, aber Klara meinte doch immerhin: »Du bist zwar nicht kräftig gebaut, aber zäh, und verglichen mit mir dürfte es in deinem Becken für ein Kind keine Platzprobleme geben.« Das fand ich auch, denn Klara war nun wirklich sehr zierlich. Dennoch … »Aber es sind Zwillinge!«
»Na und? Die werden sich schon miteinander eingerichtet haben und es die letzten Stunden auch noch schaffen. Oder glaubst du, die kriegen jetzt plötzlich Platzangst und strampeln sich deswegen schon ins Freie?«
Sie lachte und schlug vor, noch einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft zu unternehmen, um die Wartezeit zu verkürzen. Ich war sehr froh, eine Freundin wie sie an meiner Seite zu wissen.
Es hatte aufgehört zu schneien und so schlossen wir das Fenster und schlüpften in die warmen Mäntel. Auch Conrad hielt das für eine gute Idee.
»Das regt die Wehentätigkeit an und erleichtert die Geburt«, meinte er ganz Fachmann. Liebevoll küsste er mich auf die Wange und ließ es sich nicht nehmen, uns zu begleiten.
Er war ganz schrecklich nervös und seine Hände flatterten vor Erregung, als er sich eine Zigarette ansteckte. Der kleine Spaziergang würde auch ihm guttun, denn er strich schon den ganzen Tag ruhelos durch das Haus und war ständig bei uns hereingeplatzt, um
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