Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Schreckliches antue. Dass ich kein bisschen besser bin als Conrad.«
»Bitte erwähne seinen Namen nicht!«, sagte ich ungehalten, weil sich der Schmerz noch immer schneidend in mein Herz bohrte, fügte dann aber sanfter hinzu:
»Du bist von ganz anderem Naturell, Friedrich. Du bist keine bewusstlose Bestie, sondern ein Vampir, ein menschenähnliches Wesen! Du hast ein Gewissen und du kannst deinen unbewussten Trieben widerstehen. Dein Über-Ich wird stark genug sein, um dein triebhaftes Es zu domestizieren. Wenn du Klara wirklich liebst, wirst du ihr genauso wenig etwas Böses antun können wie meine Mutter Amadeus. Warum sollst du nicht genauso fähig sein, die reine Liebe über deine niedrigen Instinkte zu stellen? Versuch es doch wenigstens.«
Aber Friedrich war unsicher. »Gerade daran zweifle ich. Meine ganze Liebe galt bisher einzig und alleine Estelle. Ich weiß nicht, ob ich einen zweiten Menschen noch einmal so bedingungslos lieben kann.« Er sah mich sehr unglücklich an. »Verstehst du, Amanda? Wenn ich es nicht kann und mich dennoch Klara nähere, könnte ich ein furchtbares Unglück heraufbeschwören.«
Wir schwiegen eine Weile, in der wir beide unseren Gedanken nachhingen. Ich verstand seine Sorge, aber Estelle war seine Schwester und die Liebe zu ihr war darum etwas anderes als die Liebe zu Klara. Und so sagte ich schließlich in die Stille hinein:
»Sie liebt dich doch so sehr. Gib ihr und dir wenigstens eine Chance.«
Es war drei Tage später, als ich kurz vor der Morgendämmerung aus dem Gewerkschaftsbüro nach Hause kam. Ein merkwürdiges Schweigen hing in der Wohnung. Ja, es war geradezu, als wäre niemand zu Hause. Sofort durchzucktemich die Sorge um Lysander, und so lief ich zuerst in das Kinderzimmer, wo der Kleine jedoch friedlich in seiner Wiege schlief.
Aber wo steckte Klara? Sonst war sie um diese Zeit bereits in der Küche, um rasch einen Muckefuck zu trinken und dann, sobald ich auftauchte, selber zur Arbeit zu eilen.
Beklemmung befiel mich. Dann aber riss ich mich zusammen und schimpfte mich eine dumme Pessimistin. Vielleicht hatte es in dieser Nacht endlich zwischen ihr und Friedrich gefunkt und die beiden lagen noch völlig erschöpft vom Liebesspiel im Bett. Ich schlich also leise zu Friedrichs Zimmertür und legte ein Ohr an das Holz, um zu lauschen. Nichts. Nun gut, dachte ich, dann schlafen sie vielleicht noch. Ich trat in mein Zimmer, stieg aus der Kleidung und ging nur in den Morgenrock gewickelt hinüber zum Badezimmer. Als ich die Tür öffnete, prallte ich entsetzt zurück. Zu schrecklich war der Anblick, der sich mir bot.
Auf dem Boden vor der Wanne saß Friedrich völlig nackt und mit blutverschmiertem Gesicht und hielt eine totenbleiche, ebenfalls entblößte Klara im Arm. Er wiegte seinen Oberkörper hin und her und sang, gerade so, als wollte er sie in den Schlaf singen. Das Grauen zerriss mich fast, als ich erkannte, was er sang: »Schwesterlein, es wird fein unterm Rasen sein …«
Dann löste sich meine Schreckensstarre und ich schrie Friedrich vollkommen fassungslos an.
»Was hast du mit ihr gemacht?!« Er schaute zwar zu mir auf, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er mich überhaupt erkannte. »Was hast du ihr angetan?«
Ich stürzte auf ihn zu, kniete mich neben ihn und griff nach Klaras Hand. Sie war leblos und kalt. Zitternd legteich meine Finger an ihren Hals und versuchte die Schlagader zu finden. Bitte, bitte, lass sie nicht tot sein, flehte ich innerlich, bitte, lass sie nicht tot sein!!! Nichts! Ich beugte mein Gesicht über sie, fuhr völlig verzweifelt mit meinen Lippen an ihrem Hals entlang … Wenn noch ein Tröpfchen Blut in ihr war, ein winziger Hauch Leben, würde ich es spüren, denn mich würde unweigerlich der Drang überfallen, sie zu beißen … Ich fühlte plötzlich die Wundränder der Bisse, die Friedrich ihr zugefügt hatte … und als ich sie mit der Zunge berührte, schmeckte ich warmes Blut. Wenig nur, aber es genügte, um mir zu sagen, dass sie noch nicht gänzlich tot und verloren war. Ich widerstand dem Drang, diesen Rest nun selber aus ihr herauszusaugen, rutschte auf den Knien zu Friedrich rüber und rüttelte ihn an der Schulter.
»Friedrich, Friedrich, komm zu dir! Klara lebt noch, wir können sie retten!«
Aber er war nicht ansprechbar. So entschied ich selbst.
Was hatte in der Chronik gestanden?
… Blut, das im Körper eines Vampirs geflossen ist, muss man trinken, nachdem man von einem Vampir gebissen
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