Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Conrad sagen. »Glaub mir,ich selber bin untröstlich über das, was ich dir und unserem Kind angetan habe.«
Fassungslos schaute ich ihn an.
»Du erinnerst dich?«, fragte ich ungläubig.
Er nickte. »Ja, ich erinnere mich. Jetzt … inzwischen … es war ein langer, quälender Prozess … durch erneute Verwandlungen unterbrochen, die mich jedes Mal wieder zurückwarfen.«
Er barg sein Gesicht aufstöhnend in seinen Händen, bis er schließlich weitersprach.
»Als ich nach einigen Tagen weit von hier in einem Wald wieder zu Bewusstsein kam, da hatte ich meine menschliche Gestalt zurückerlangt, war fast erfroren und spürte eine Kugel in der Brust, dicht neben meinem Herzen. Es schmerzte höllisch, aber ich starb nicht daran, und so schleppte ich mich hierher zurück. Doch es war niemand mehr da.
Ein paar Tagen lag ich wie im Koma, dann ging ich ins Gutsbüro, ließ mir ein Ferngespräch mit Professor Müller-Wagner vermitteln und meldete mich krank. Es kam ihm ungelegen, aber er versprach mir, meine Stelle freizuhalten, bis ich wieder arbeitsfähig sein würde, und so lange eine Aushilfskraft zu beschäftigen. Das war mehr, als ich erwarten durfte.«
Conrad starrte verloren in die Flammen. Bald wurde das Schweigen unerträglich und so fuhr er langsam in seinem Bericht fort.
»Es dauerte mehr als zwei Wochen, bis die schwere Verletzung verheilt war. Wochen, in denen ich mich immer und immer wieder fragte, was geschehen war. Dann ging ich zum ersten Mal in den Garten und entdeckte das Grab.
Wolfgang hast du ihn genannt. Weil er der Sohn einesWolfes ist? Eines Werwolfes! Ich habe nicht einmal gewusst, dass es ein Junge war.«
Ich nickte stumm und Conrad fuhr fort.
»Danach habe ich mich zurückgezogen und die Bilder aus meinem Inneren aufgeschrieben. Dann versuchte ich sie zu analysieren und am Ende bin ich in die Bibliothek gegangen und habe Bücher gelesen. Über Fabelwesen, die in den Karpaten ihre Heimat haben. Danach war mir zumindest in groben Zügen klar, was geschehen war.
Der 11. Dezember war eine Vollmondnacht. Der Vollmond wirkt sich beschleunigend auf Geburten aus. Er ist der Freund der Gebärenden. Aber er ist der Feind der Gestaltwandler, der Verfluchten, die in seinem Licht ihr menschliches Sein verlieren und der Bestie, dem Dämon, den sie in sich tragen, Platz machen müssen. Ich wusste bis dahin nicht, dass der Wolfsbiss in den Karpaten ein Ungeheuer in mich gepflanzt hatte. Hätte ich es nur im Geringsten geahnt, hätte ich mich nicht während der Geburt bei dir aufgehalten. So musste ich mich in einen Werwolf verwandeln, und die Katastrophe, die unserem Erstgeborenen das Leben kostete, nahm ihren Lauf.«
Conrad stand auf und ging mit unruhigen Schritten im Raum auf und ab. Gespenstisch flackerte der Feuerschein an den Wänden.
»Das war nicht ich, Amanda, das musst du mir glauben!«, stieß er flehend hervor. »Noch als die Bestie das Kind in ihre Klauen nahm, beschwor ich sie, es nicht zu töten! Aber ich war nicht stark genug. Das Einzige, was meine Liebe vermochte, war, das Ungeheuer von euch fernzuhalten, es fliehen zu lassen. Ich musste fortlaufen, damit ich nicht auch euch noch in Gefahr brachte, sobald ich ganz ein Wolf geworden war. Als ich den See erreichte, legte ich dasKind dort ab in der Hoffnung, dass es noch lebte und ihr es rechtzeitig finden würdet. Dann, vollständig zum Werwolf geworden, hetzte ich verzweifelt davon. Unter dem mystischen Licht des Mondes … durch die endlosen dunklen Kiefernwälder der Mark … dann traf mich die Kugel … rote Adler stiegen vor meinen Augen auf … blutige Todesstarre befiel mich … ein Orkan begann zu toben und der Schnee deckte mich zu wie mit einem Leichentuch.«
Er sah mich mit todeswundem Blick an. »Ach, Amanda, ich habe mir so sehr gewünscht, sterben zu können.«
Ich starrte erneut in das Feuer, wo mir die Flammen das Bild meiner Mutter vorgaukelten, wie sie auf Burg Przytulek für mich den Opfertod gesucht hatte. In unendlicher, selbstloser Liebe!
Würde ich zu einer solchen Liebe jemals fähig sein? Ich hatte es stets geglaubt, ja, ich dachte, es wäre ein Leichtes. Nun aber zweifelte ich an meiner Kraft.
Conrads Anblick schmerzte mich, ich konnte ihn nicht mehr ertragen. Seine Verzweiflung quälte mich ebenso wie ihn, weil ich wusste, dass ich seine Schuld mit ihm teilen musste, denn auch ich trug Verantwortung an dem, was uns geschehen war.
»Du warst schwanger, Amanda, kurz vor der Niederkunft, du hattest
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