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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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zusammenhielten. Weil mir die Worte fehlten, ließ ich das Buch für mich sprechen, und das war gut so. Conrad zog sich damit fast einen ganzen Tag lang zurück, und als er wieder auftauchte, küsste er mich voller Hingabe und sagte nur:
    »Ich liebe dich, Amanda, dich und deine wilde Seele.«
    Als wir uns daraufhin in gierigem Verlangen vereinigten, war es wie eine zweite Hochzeitsnacht. Wir erkannten einander zum ersten Mal ganz, und wie groß unsere Verzweiflung über unsere unselige Natur auch war, unsere Liebe war größer.
    »Und wenn mein Herz auch dabei blutet – ich werde dich in Ketten legen und ich werde dich auch wieder glücklich daraus befreien und sei es bis ans Ende aller Tage!«
    Conrad nickte. »So soll es sein.«
    Blankensee, im Januar 1926
     
    In den Morgenstunden des 3. Januar 1926 entband ich auf Blankensee in einer leichten Geburt mit Conrads Hilfe unsere Tochter Lysette. Wir sind überglücklich und auch Lysander freut sich über sein Schwesterchen.
    Wir haben unser Leben so eingerichtet, dass wir mit Conrads exzentrischer Behinderung leben können, ohne dass er weiteren Schaden anrichtet.
    Er arbeitet nach wie vor an der Klinik von Professor Müller-Wagner, während ich Klara im Gewerkschaftsbüro unterstütze und gelegentlich in Kale Kalsens Kabarett »Hinter dem Mond« Chansons singe.
    Der Name erinnert mich immer daran, dass wir zur Zeit des Vollmonds rechtzeitig nach Blankensee fahren, wo Conrad, sich während der Vollmondnacht in das Geheime Gewölbe zurückzieht. In einen Raum, den er seine Zelle nennt und in dem er, weggesperrt von den Menschen, die er über alles liebt, seine unselige Verwandlung unter schrecklichen Qualen in Einsamkeit erleiden muss.
    Es gruselt Lysander und mich, ihn schreien und knurren und heulen zu hören, aber wir wissen, dass wir sicher sind. Er kann aus seiner Zelle nicht entkommen und weder sich noch anderen ein Leid zu fügen, denn er liegt mit Morphium betäubt in schweren Ketten, die selbst ein Werwolf nicht zerreißen kann.
    Ich bin voll Mitleid, weil er so leiden muss, aber es ist der einzige Weg, unser gemeinsames Glück zu erhalten.
    So tragen wir diesen Fluch in gegenseitiger Liebe und hoffen, dass unseren Kindern solch ein grausames Schicksal erspart bleibt.
     
    Amanda
     
    D
ie Kinder wuchsen heran und zeigten keinerlei Auffälligkeiten. Da wir darum annehmen durften, dass sie ganz normale Menschen waren, bemühten Conrad und ich uns, ihnen ein entsprechendes Familienleben zu bieten. Es war zwar nicht das, was sich Tante Gertrud und Onkel Hansmann darunter vorstellten, aber wir richteten uns gut in der Brüderstraße ein und erfreuten uns an dem raschen Fortschritt und der schnellen Auffassungsgabe der Kleinen. Sie waren wirklich ein allerliebstes Pärchen und tausendmal hübscher und intelligenter als Alfred, der Sohn von Wilhelm und seiner Frau Brünhilde, der gut betuchten Tochter eines mittelständischen Industrieunternehmers, der, wie ich aus dem Gewerkschaftsbüro wusste, seine Arbeiter zu Hungerlöhnen beschäftigte. Ausbeuter!
    Davon wollte Wilhelm natürlich nichts hören, und weil ich es nicht lassen konnte, darauf herumzuhacken, wenn ein »Spielnachmittag« mit den Kindern bei uns in der Brüderstraße stattfand, brachen wir sehr bald diese mit Kaffee und Kuchen versüßte Zwangsveranstaltung ab. Wir konnten uns nicht riechen, und das Kaffeearoma war einfach nicht stark genug, um das zu überdecken.
    Als Lysander und Lysette das passende Alter erreichten, schickten wir die Kinder in einen reformpädagogischen Kindergarten, und genau wie meine Mutter Estelle mir vorgelesen hatte, so holte ich mir die beiden, wenn wir auf Gut Blankensee waren, vor den Kamin in der Bibliothek und las ihnen Gedichte vor.
    Kindergedichte, einzig und alleine für sie … keine Liebesgedichte für einen fernen Geliebten!
     
    Meine Mutter liebte Christian Morgenstern, und auch ich und meine Kinder hatten viel Spaß mit seinen Gedichten,von denen einige Bändchen, unter anderem die Galgenlieder , in ihrer Bibliothek standen. Natürlich war unser liebstes Schlummerlied auch von ihm:
    Schlaf, Kindlein, schlaf !
    Es war einmal ein Schaf.
    Das Schaf, das ward geschoren,
    da hat das Schaf gefroren.
    Da zog ein guter Mann
    ihm seinen Mantel an.
    Jetzt braucht es nicht mehr frieren,
    kann froh herumspazieren!
    Schlaf, Kindlein, schlaf !
     
    Unsere mystische Natur hielten wir vor den Kindern verborgen, allerdings kam es immer mal wieder zu einer Unvorsichtigkeit,

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