Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
welche ihre Neugier anstachelte, und besonders die Vollmondnächte, die wir regelmäßig auf Blankensee verbrachten, forderten sie zu Fragen heraus.
Es war aber auch zu unheimlich, wenn tief aus dem Gewölbe des Gutshauses schreckliches Klagen, Stöhnen und Wolfsgeheul ertönten. Natürlich konnte ich ihnen nicht sagen, dass ihr Vater dort in schweren Ketten mit seiner bestialischen zweiten Natur rang. Aber da es mir fast das Herz bei dem Gedanken zerriss, ihn dort unten so einsam leiden zu wissen, holte ich die Kinder zu mir ins Elternschlafzimmer und wir kuschelten uns gemeinsam unter die Decke, um uns gegenseitig Trost und Sicherheit zu geben.
Conrad war dazu übergegangen, mit Betäubungsmitteln zu experimentieren, und besonders Morphium und Kokain halfen ihm, die Verwandlungsschmerzen besser zu ertragen. Da diese Mittel teuer waren und nicht frei gehandelt wurden, fragte ich mich gelegentlich, woher sie stammten.
»Du besorgst sie dir doch nicht illegal?«
Er schüttelte den Kopf und lachte. »Nein, nein, was du so denkst! Ich bin Arzt, mir steht in der Klinik genügend von dem Zeug zur Verfügung.«
»Und Professor Müller-Wagner weiß das?«
Er schwieg, und ich beschloss, besser nicht weiter nachzufragen.
In der Hauptsache aber lebten wir ganz normal in Berlin in der Brüderstraße, wo wir mit Friedrich und Klara eine Art Wohngemeinschaft bildeten, was den Vorteil hatte, dass wir uns gegenseitig unterstützen konnten, wenn wir unserer Arbeit nachgingen. Conrad in der Klinik und Klara und ich im Gewerkschaftsbüro, wobei Klara nun ebenfalls nur nachts arbeiten konnte. Ich war daher froh, als ich Claudia, die Tochter eines Gewerkschafters, dafür gewinnen konnte, bei uns die Kinder zu hüten, denn keine von uns wollte auf ihre Arbeit verzichten.
Friedrich fand als Einziger, dass er nicht zur Lohnarbeit tauge, und betätigte sich lieber ehrenamtlich in der pazifistischen Bewegung. Nebenher genoss er sein kunstsinniges Leben wie ein Bohemien.
»Dass du ihm das durchgehen lässt, verstehe ich nicht«, sagte ich zu Klara. Aber sie lachte nur: »Das ist halt die Konsequenz der Gleichberechtigung, dass auch mal die Frau mit ihrem Lohn die Familie ernährt. Viel brauchen wir ja nicht.« Und mit einem Augenzwinkern meinte sie: »Was übrigens die Ernährung betrifft, wir sollten mal wieder zusammen auf die Jagd gehen. Im Wedding gibt es lohnendes Wild. Ein Joseph Goebbels von der NSDAP spielt sich dort neuerdings ziemlich provozierend auf. Seine Braunhemden stehen recht gut im Saft.«Seitdem Lysette und Lysander in den Kindergarten gingen, engagierte ich mich noch stärker in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit und fing an, Artikel für die Frauenzeitung zu schreiben. Auch begleitete ich Friedrich und Klara immer öfter zu abendlichen Kundgebungen und Parteiversammlungen.
Nach einer Protestkundgebung der Frauenbewegung, auf der gleicher Lohn für gleiche Arbeit gefordert wurde, schleppte Klara mich in das Gewerkschaftsbüro und verlangte, dass ich nach meinen vielen unentgeltlichen Hilfsarbeiten nun endlich eine bezahlte Anstellung bekam.
»Ihr könnt nicht auf der Straße den gleichen Lohn für Frauen fordern und sie hier weiter ausbeuten!«, argumentierte sie. Da ich bereit war, weiterhin die ungeliebte Nachtschicht zu übernehmen und inzwischen eine der aktivsten Kämpferinnen für die Sache der Arbeiter war, weil das Kämpferische nun mal in meiner Natur sehr lag, bekam ich tatsächlich nach kurzer Zeit eine richtige Stelle. Das machte mich unglaublich stolz, und auch Conrad und Friedrich waren hellauf begeistert, als ich ihnen meine erste Lohntüte zeigte.
»Kannst du auch haben, Friedrich«, sagte ich augenzwinkernd. »Wäre doch mal was anderes, als immer zu schmarotzen!«
Er grinste, lehnte jedoch nach wie vor dankend ab. Ich glaube, er hielt es als Vampir für unter seiner Würde.
Natürlich wurde mein Geld dann erst einmal für Theaterkarten, Bücher und pädagogisch wertvolles Kinderspielzeug verjubelt.
Alles lief wirklich gut bis auf eine von mir vermittelte Vorstellung des Roten Kasperletheaters , die im Kindergarten zwar für viel Spaß bei den Kindern, bei den Elternjedoch für ziemlichen Unmut sorgte. Besonders Wilhelm, Brünhilde und, von diesen unterrichtet, auch Hansmann regten sich völlig übertrieben auf und zeigten damit, welche geistige Engstirnigkeit bei ihnen zu Hause herrschte. Dennoch unterließ ich von da an diese Art von Agitation, denn ganz wollte ich es mir mit der
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