Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
im Bett lag, der erschöpft nach einem unbefriedigenden Liebesakt eingeschlafen war, begann meine innere Laterna magica, sich wieder einmal zu drehen und ihre flackernden Bilder zu projizieren. Die Bücher in den Flammen wurden nach und nach zu Menschen und sie brannten Schicht um Schicht, wie ich Radke verbrennen sah, qualvoll bis auf das Skelett. Das Feuer verglühte und zurück blieb ein riesiger Berg verkohlter Knochen. Ein schwarzes Fanal.
Ich setzte mich auf und streichelte Conrads geliebtes Gesicht, dann küsste ich ihn. Meine Tränen tropften auf seine Wange. Lysander war nicht mit zurückgekehrt, sondern war bei Alfred geblieben. Hatte ich ihn schon verloren?
Es war weit nach Mitternacht, als auch Friedrich und Klara heimkehrten. Sie benahmen sich sehr laut und schrien sich gegenseitig an. Ich torkelte schlaftrunken aus dem Bett und wankte in den Salon. Da standen sie sich gegenüber wie zwei Kampfhähne.
»Du bist völlig verrückt«, brüllte Friedrich! »Wahnsinnig! Du gehörst in Conrads Anstalt!«
Erst jetzt sah ich, dass Klara offensichtlich verletzt war. Ihr Blut klebte an ihrer Kleidung, das Gesicht war blutverschmiert und auf der Stirn hatte sie ein tiefes Einschussloch. Ich stürzte zu ihr.
»Was, was ist denn passiert?«, stammelte ich.
Woraufhin Friedrich wütend sagte: »Diese Irre wollte Goebbels umbringen!«
Ich erstarrte in Ehrfurcht. »Das, das hast du getan? Wirklich?«
An ihrer Stelle antwortete jedoch Friedrich nach wie vor ungehalten: »Ja, wirklich! Leider hat er überlebt!«
»Aber es, es war dennoch mutig und …«
»… und führt dazu, dass sie nun eine stadtbekannte Attentäterin ist und sich in Berlin nicht mehr auf die Straße wagen kann. Hansmann wird sie garantiert verpfeifen, sodass sie nicht einmal hier mehr sicher ist – und wir ebenso wenig, wenn wir ihr Unterschlupf gewähren!«
Klara zitterte am ganzen Leib und stöhnte leise und gequält auf. Sie war sichtlich schwer verletzt und ichfand Friedrichs Verhalten deswegen absolut herzlos. Also schnauzte ich ihn nun selber an:
»Siehst du nicht, dass sie leidet? Bring sie in euer Schlafzimmer, ich wecke Conrad, damit er sie ärztlich versorgt, bis ihre Selbstheilungskräfte wirken.«
Conrad war erschüttert, aber ebenfalls von der Aktion nicht überzeugt.
»Solche spontanen Dinge bringen doch nichts«, meinte er, als er Klaras Stirnwunde versorgte.
»Was ist denn genau geschehen?«, wollte ich nun von Friedrich wissen, der allmählich ruhiger wurde und resigniert in einem Sessel hockte.
»Goebbels wollte nach seiner Hetzrede die Tribüne verlassen, als Klara, die sich unauffällig bis dorthin vorgedrängt hatte, ihn plötzlich ansprang und versuchte ihn in den Hals zu beißen. Eine völlig unsinnige Aktion, denn sie hätte ihn niemals aussaugen können, schließlich war der Platz voller Menschen und er von SA-Standarten umgeben. Doch so weit kam es gar nicht, noch bevor sie ihn überhaupt berühren konnte, begannen seine Leibwächter auf sie zu feuern. Sie stürzte von der Treppe in die Menge, wo sie, offensichtlich von Gleichgesinnten hastig weggezogen, abtauchen konnte. Ich suchte sofort nach ihr und fand sie schließlich halb tot in einem Gebüsch an der Spree. Dann brachte ich sie hierher.«
Klara stöhnte auf, als Conrad die Kugel aus der Stirn entfernte.
»Gib ihr doch etwas Morphium«, schlug ich vor. Conrads Hände begannen zu zittern.
»Es, es … es ist aus … ich muss erst neues besorgen … morgen in der Klinik …«
Ich starrte ihn fragend an. Er nahm es doch nicht auchaußerhalb der Vollmondnächte? Aber ehe ich fragen konnte, wandte er sich wieder Klara zu.
»Also ist es schiefgegangen«, flüsterte ich. »Meinst du wirklich, Friedrich, dass wir nun in Gefahr sind?«
Er nickte. »Klara muss weg, sofort«, sagte er erregt. »Noch hält man sie vermutlich für eine Einzeltäterin. Eine Verrückte, die sie ja auch wirklich ist. Aber man wird sehr schnell herausfinden, dass sie hier wohnt.«
»Dann bring sie in das Geheime Gewölbe«, sagte ich. »Dort ist sie sicher.« Dankbar dachte ich an meine Mutter, die dieses Refugium in weiser Voraussicht gebaut hatte. Und so fuhr Friedrich noch vor Anbruch der Morgendämmerung mit Klara auf dem schnellsten Weg nach Blankensee.
Von nun an überstürzten sich die Ereignisse.
Natürlich stand anderentags die Gestapo vor der Tür, und nur weil Hansmann offensichtlich ein wichtiger Geldgeber war, gab man sich damit zufrieden, nach Klara zu
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