Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
vor allem kannst du selber mit dem Gut Gewinne machen, die ausschließlich dir zustehen. Ich hätte nie gedacht, dass Hansmann dem so problemlos zustimmen würde.«
Ich lächelte listig. »Er will uns offensichtlich schleunigst loswerden.« Und endlich wieder einmal optimistisch fügte ich hinzu: »Das ist seit Langem der schönste Tag in meinem Leben.«
Conrad kündigte zum nächstmöglichen Zeitpunkt und schleppte bald stapelweise Bücher über zeitgemäße Landwirtschaft und Pferdezucht an.
So trafen wir sogleich Vorbereitungen, umgehend die Wohnung in der Brüderstraße zu schließen und mit den Kindern nach Blankensee zu ziehen.
Lysette freute sich sehr über diese Aussicht, denn sie vermisste Klara und Onkel Friedrich bereits sehr.
Sie war ein zartes, völlig unkompliziertes Mädchen mit dunklen Haaren und einer wunderschönen Stimme, mit der sie den ganzen Tag herumträllerte. Sehr oft hatte ich mir Sorgen gemacht, dass ich sie vielleicht über meiner Arbeit bei der Gewerkschaft vernachlässigte, aber da ich ja überwiegend nachts unterwegs war, verbrachten wir tagsüber viel Zeit miteinander, und ich amüsierte mich über ihr nie stillstehendes Plappermäulchen und später über ihre Backfischgeschichten. Anders als Lysander war sie überhaupt nicht an Gruppenaktivitäten interessiert und wollte darum auch nicht in den Jungmädelbund. Dafür hatte sieClaudia inzwischen zu ihrer Busenfreundin gemacht und sie hockte, sooft es ging, mit ihr zusammen, las Trotzkopf - und Pucki- Bücher und träumte mit ihr vom Leben auf dem Land. Aber da Claudias Mutter an Typhus gestorben war und sie die einzige Tochter war, wollte sie ihren Vater dann doch nicht alleinelassen. Worüber Lysette todunglücklich war. Claudia zurückzulassen brach ihr fast das Herz.
Dann allerdings überschlugen sich die politischen Ereignisse und Claudias Vater wurde wie viele andere Oppositionelle in das KZ Oranienburg verschleppt. So stand es außer Frage, dass wir das Mädchen mit zu uns nach Blankensee nahmen.
»Wir kümmern uns um deinen Vater«, versicherte ich ihr. »Du kannst hier in Berlin nichts tun, und es ist besser, wenn du die Hauptstadt in diesen unruhigen Zeiten verlässt. Zumal du niemanden hast, der sich um dich kümmert.«
Dankbar nahm Claudia die Einladung an, Lysette war überglücklich und teilte bereitwillig ihr Kinderzimmer mit ihr.
Lysander aber stellte sich quer und ich merkte sehr rasch, dass ich mich auf einen Handel mit dem Teufel eingelassen hatte, denn Hansmann wusste offenbar ganz genau, dass Lysander durch nichts zu bewegen sein würde, Berlin zu verlassen. Jedenfalls nicht vor dem Erreichen seines Traumziels: dem Eintritt in die Hitlerjugend, gleich nach seinem vierzehnten Geburtstag.
Ich hatte von Anfang an seinen Kontakt zu Wilhelms Sohn Alfred nicht gerne gesehen, aber da sich zwischen den beiden, von Gertrud sehr gefördert, eine Freundschaft entwickelte und sie sich in der Schule gegenseitig unterstützten,ließ ich es schließlich geschehen. Hätte ich geahnt, was daraus entstehen würde, hätte ich mich mit Zähnen und Klauen gegen diese unselige Verbindung gewehrt.
Andererseits hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass Lysander derart aus der Art schlagen würde. Ich warf mir vor, dass ich ihn ganz offensichtlich falsch erzogen und über meiner Agitationsarbeit versäumt hatte, auch in ihm das Bewusstsein für die richtigen Werte zu wecken. Aber das war schwer in der heutigen Zeit und bei einer Politik, die gerade die Jugend so heftig umwarb.
»Es ist so gemein von euch!«, sagte er wütend und den Tränen nahe, als ich ihm unseren Entschluss mitteilte. »Gerade jetzt, wo Alfred und ich zusammen im Jungvolk sind und wenn wir vierzehn sind in die Hitlerjugend aufgenommen werden sollen!«
Die Hitlerjugend! Dagegen war man als Mutter machtlos.
In wenigen Jahren hatte sich die Jugendorganisation der NSDAP zu der deutschen Jugendbewegung schlechthin entwickelt, in die nicht nur die arbeitslosen Jugendlichen drängten, sondern nach der Gleichschaltung alle anderen deutschen Jugendorganisationen aufgegangen waren, sogar völlig unpolitische Sportvereine. Und gerade war Reichsbischof Müller dabei, die gesamte Evangelische Jugend ebenfalls in die Hitlerjugend zu überführen. Klara hatte sich darüber genauso aufgeregt wie über die Zerschlagung unserer gewerkschaftlichen Jugendorganisation. Aber nun liefen ihnen die Jugendlichen ja scharenweise freiwillig zu … Wie der Rattenfänger
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