Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
fahnden und nicht auch unsere Familie zu verfolgen. Aber natürlich war vermerkt worden, dass ich mich ebenfalls bei der Bücherverbrennung auffällig benommen hatte.
»Du solltest Berlin verlassen«, schlug mir Gertrud daher vor. Sie war extra in die Brüderstraße gekommen, weil sie ganz offensichtlich um Hansmann und die Karriere ihrer Söhne fürchtete.
Natürlich versuchte ich aus der Situation Kapital für mich zu schlagen. Wenn Hansmann mich so dringend aus Berlin forthaben wollte, dann sollte er dafür auch mir entgegenkommen und meine Forderungen erfüllen. Es war ein gewagtes Spiel, aber ich musste es spielen. Alles oder nichts!
»Gut, Tante Gertrud«, sagte ich also. »Bestell Hansmann,dass ich einverstanden bin. Ich verlasse mit meiner Familie Berlin, wenn er mir Blankensee überschreibt.«
Noch ehe Hansmann eine Entscheidung getroffen hatte, kam Conrad eines Tages völlig verstört von der Humboldt-Universität nach Hause, wo er seit einiger Zeit, durch Protektion von Professor Müller-Wagner, einen Lehrauftrag über die Theorie der Psychoanalyse nach Dr. Sigmund Freud wahrnahm.
»Was ist geschehen?«, fragte ich beunruhigt, denn er kam viel zu früh zurück. »Musst du nicht bei deiner Vorlesung sein?«
Er schüttelte den Kopf. »Das hat sich erledigt«, sagte er resignierend. »Man hat mir den Lehrauftrag entzogen. Man wünscht keine Lehre über jüdische Theorien.«
»Jüdische Theorien? Was ist das für ein Unfug! Es gibt nur eine Wissenschaft und die ist weder jüdisch noch sonst irgendwie national!«
Conrad setzte sich in den Lesesessel und starrte dumpf vor sich hin. »Das sagst du, Amanda. Der Senat der Universität sagt etwas anderes und vor allem die nationalsozialistisch infiltrierte Deutsche Studentenschaft. Man will weder jüdische Professoren noch jüdische Theorien an einer deutschen Universität.«
»Wunderbar«, schnaubte ich wütend, »dann lass sie doch an ihrer Provinzialität ersticken! Wer nicht will, der hat schon.«
Damit aber war es nicht getan. Wenig später traf Conrad ein noch viel härterer Schlag.
Eines Abends kam er sehr spät nach Hause und brachte eine ganze Kiste voller Bücher und Unterlagen mit, die er neben Estelles Sekretär abstellte.
»Ich glaube, es wäre doch eine gute Idee, wenn wir das Gut Blankensee bald wieder bewirtschaften würden«, sagte er und zündete sich mit bebenden Fingern eine Zigarette an. »Vielleicht solltest du Hansmann ein paar Zugeständnisse machen.«
Das kam etwas überraschend und so schaute ich ihn fragend an. Er wirkte unbehaglich unter meinem Blick.
»Na ja, man müsste es wieder auf die Beine bringen, vielleicht mit einer Pferdezucht … damit es eine Familie ernähren kann …«
Das hörte ich zwar gerne, aber irgendwie hatte es einen falschen Zungenschlag, der mich nervös machte.
»Ich … könnte meine Stelle an der Klinik aufgeben …«
Ich war fassungslos. Es gab wohl kaum jemanden, der so in seinem Beruf aufging wie Conrad.
»Was ist denn vorgefallen? Hast du Ärger in der Klinik? Mit Professor Müller-Wagner?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein … das heißt, nicht direkt … alle, das ganze Personal der Klinik, haben ein Problem. Die Stiftung hat einen neuen Vorstand bekommen …«
»Ach so«, sagte ich aufatmend, »dann wird wohl allerlei organisatorisch umgestellt werden. Neue Besen kehren gut! Das stehst du doch durch.«
Er machte immer noch einen völlig niedergeschlagenen Eindruck, und die Bewegung seiner Hände war fahrig, als er sich die nächste Zigarette ansteckte, sodass ihm die Packung zu Boden fiel. Er ließ sie achtlos dort liegen.
»Wenn es nur das wäre, Amanda!«
Ich trat hinter ihn an den Sessel und begann sachte, seine verspannten Nackenmuskeln zu massieren, statt mit aufdringlichen Fragen in ihn zu dringen. Er würde mir schon erzählen, was zu erzählen war.
»Es geht vor allem um inhaltliche Änderungen. Man hat mir verboten, weiterhin nach der Lehre von Sigmund Freud zu praktizieren. Der Mann sei Jude und pervers und seine Schriften stünden lange schon auf der Liste.
Sie haben begonnen, alle meine Lehrbücher aus dem Bücherschrank in meinem Sprechzimmer zu filzen, und verlangt, dass ich fast den gesamten Bestand vernichte. Die wichtigsten Schriften habe ich darum heute gleich mitgebracht.«
»Das ist ja schrecklich, Conrad«, sagte ich erschüttert.
Er war Psychoanalytiker mit Leib und Seele, ihm zu verbieten, nach den Methoden von Freud zu praktizieren, kam einem
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