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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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von Hameln lockte der Reichsjugendführer sie mit Trommeln, Fackeln und Fahnen und ließ sie hinter dem Führer hermarschieren. Wohin dieser Marsch gehen würde, daran mochte ich gar nicht denken.
    Ich sah meinen Sohn fragend an. »Was mache ich nun mit dir, Lysander? Ich kann dich doch nicht hier alleine in Berlin lassen!«
    Aber genau das verlangte er von mir.
    »Onkel Hansmann hat gesagt, ich kann bei ihnen wohnen. Dann kann ich mit Alfred auf das Gymnasium gehen, und wenn ich vierzehn werde, in die Hitlerjugend. Er schenkt mir auch die Uniform.«
    Na, wunderbar! Wie konnte Hansmann mir mein Kind so entfremden? Und wie konnte Lysander sich so kaufen lassen? Ich reagierte verärgert.
    »Du kommst mit und basta! Ein Kind von kaum zehn Jahren gehört in seine Familie.«
    Aber er wurde wütend und laut und begann vor Zorn sogar zu heulen und mit den Füßen auf dem Boden herumzustampfen. Also versuchte ich es auf die sanfte Art und redete mit Engelszungen auf ihn ein, aber schließlich fehlten mir die Worte, und so bat ich Lysander, noch einmal mit seinem Vater zu sprechen. Conrad würde ihm diesen Unsinn sicherlich ausreden können.
    Er konnte es nicht. Lysander wollte um jeden Preis in Berlin bleiben. Hansmann hatte offenbar ideologisch ganze Arbeit geleistet. So blieb uns schließlich nichts anderes übrig, als zuzustimmen, dass er fürs Erste zu Hansmann und Gertrud zog, während wird nach Blankensee übersiedelten.
    Das hatte zumindest objektiv den Vorteil, dass er ab Ostern das Gymnasium besuchen konnte, was wir dann auch als ausschließlichen Grund gelten ließen. Aber als Mutter hatte ich ein sehr schlechtes Gewissen dabei.
    »Er ist kein Dummkopf«, meinte Conrad jedoch. »Wenn er erst ein wenig älter ist, wird er merken, worauf er sicheingelassen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sein wildes, auf Unabhängigkeit erpichtes Temperament sich dem Drill und Zwang der Hitlerjugend beugen wird.«
    »Er ist verführt worden und wir hätten es nie erlauben sollen«, sagte ich seufzend und fand, dass wir ganz schrecklich schlechte Eltern waren. »Wir hätten ihm andere Orientierungen geben müssen.«
    Conrad sah mich skeptisch an, und mir war klar, dass wir alles andere als Vorbilder für ein Kind sein konnten.
    »Er ist ein Mensch, Amanda, er verdient ein menschliches Leben, das können Gertrud und Hansmann ihm bieten, wir nicht.«
     
    A
lso zogen wir noch vor Weihnachten nach Blankensee, wo wir von Klara und Friedrich bereits sehnsüchtig erwartet wurden. Sosehr mich auch der Abschied von Lysander schmerzte, Lysette und Conrad waren ja bei mir und es tat mir so gut, nun wieder mit den beiden zusammen zu sein.
    In den letzten Monaten hatten wir uns nur in den Vollmondnächten gesehen, die ich mit Conrad wie immer auf Blankensee im Geheimen Gewölbe verbracht hatte.
    Da hatte mir Klara bereits erzählt, dass sie ihre illegale Arbeit wieder aufgenommen hatte und über Blankensee politisch Verfolgte ins Ausland schmuggelte.
    »Es gibt so viel zu tun, Amanda«, hatte sie bei meinem letzten Besuch vor dem Umzug gesagt. »Ich muss den Leuten helfen aus Deutschland herauszukommen. Sie brauchen falsche Pässe, Geld … solange ich hier noch etwas bewirken kann, werde ich es auch tun.«
    Ich war froh, dass ihre schweren Verletzungen wiederverheilt waren und ihr Enthusiasmus zurückgekehrt war. Allerdings ließ ich mir versprechen, dass sie nie wieder solche spektakulären, um nicht zu sagen irrwitzigen, Alleingänge unternehmen würde.
    »Aber ich habe es wenigstens versucht«, sagte sie und lächelte. Ich küsste sie auf die Wange. »Ja«, sagte ich, »dafür hast du auch meinen Respekt. Aber wir sind keine Märtyrer. Unsere Aufgabe ist eine andere.«
    Und ich versprach ihr, dass wir uns nach dem Umzug gemeinsam darum bemühen würden, möglichst viele verfolgte Freunde aus Deutschland herauszuschleusen.
     
    Da Gertrud ihre Androhung, mir BDM-Mädel ins Landjahr nach Blankensee schicken zu wollen, tatsächlich wahr machen wollte, musste ich mich gezwungenermaßen nach dem Umzug erst einmal damit befassen, das Gutsgebäude wieder herzurichten – insbesondere den Westflügel, in dem früher Hansmann mit seiner Familie gewohnt hatte und in dem nun auch die Mädchen untergebracht werden mussten, damit sie möglichst wenig von unserem vampirischen Familienleben im Ostflügel mitbekamen. Ganz geheuer war mir die Sache allerdings nicht.
    Die Idee, das Gut wieder zu bewirtschaften, ließ sich ohnehin nur umsetzen, weil

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