Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
der eigentliche Verbrecher.«
Also versprach ich, zumindest darüber nachzudenken. Allerdings brauchten wir die Hilfe unseres Sohnes Lysander, und ob der in einer solchen Sache mit uns kooperieren würde, das wagte ich zu bezweifeln.
»Er steht völlig unter Hansmanns Einfluss, er bewundert ihn und wird niemals etwas tun, was Hansmann schaden könnte.«
Allein dieser Gedanke versetzte meinem Herzen einen schmerzhaften Stich.
Also wollte ich nichts überstürzen und ihn vor allen Dingen nicht unter Druck setzen. Ich wusste, was daraus entstehen konnte. Hätte die Familie nicht Estelle zu einer wohlhabenden Heirat genötigt, wäre unser aller Leben weniger tragisch verlaufen. Einen solchen Fehler wollte ich also nicht wiederholen. Mein Sohn sollte seine Entscheidungen alleine treffen, und waren sie falsch, so würde er es irgendwann selber merken und sie revidieren.
Ich beschied daher Conrad und Friedrich, den Plan erst noch einmal auf Eis zu legen und mit dem vorhandenen Geld die Weidewirtschaft auf dem Gut wieder in Schwung zu bringen.
Mit der Zeit erkannte ich dann auch, wie wertvoll die BDM-Mädel waren. Besonders als Erntehelferinnen.
Als wir das erste Mal die Heuernte in die neue Scheune einbrachten, feierten wir am Abend ein ausgelassenes Fest. Es gab Stockbrote am Lagerfeuer und die Mädchen spielten Fahrtenlieder zur Klampfe.
Bei ihrem Anblick musste ich an Lysander denken, der jetzt gewiss ebenfalls bei einem Ernteeinsatz seines Jungvolks am Feuer hockte, und ich wünschte ihn mir sehnsüchtig herbei.
Doch ich sah ihn in den nächsten Jahren selten. Nur wenn ich mit Klara oder Friedrich nach Berlin fuhr, um mich mit frischem Blut zu versorgen, und vorübergehend in der Brüderstraße wohnte. Hansmann und Gertrud taten so, als hätten sie mein Kind bereits adoptiert! Das passte mir gar nicht, aber nach wie vor hatten die Nazis alle Trümpfe in der Hand und mein Sohn schien mir mehr und mehr zu entgleiten.
Die Olympischen Spiele taten dazu ihr Übriges. Welcher junge Mensch konnte sich diesem Spektakel entziehen?Berlin platzte förmlich vor Stolz und suhlte sich genüsslich in der internationalen Anerkennung. Monumentale Baukunst, Massenaufmärsche, arischer Körperkult – das alles überwältigend inszeniert von Meistern der Massenmanipulation. Da sollte das Ausland wohl fasziniert nach Deutschland schauen, das doch vor wenigen Jahren noch am Rande des Staatsbankrotts gehechelt hatte und nun selbstbewusst und berstend vor Energie die Völker der Welt empfing, um ihnen zu zeigen, mit welchem Geist hier die Zukunft gestaltet wurde. Natürlich fuhren auch wir nach Berlin und schauten uns die Eröffnungsveranstaltung an, bei der Lysander mit den übrigen Massen ins Olympiastadion einmarschierte. Flaggen, Standarten, Fackeln, Lichtdom und die Beschallung der halben Stadt aus öffentlichen Rundfunklautsprechern schufen eine Atmosphäre feierlichen Wettkampfes, der sich kaum jemand entziehen konnte. Auch die Ausländer, mit denen wir sprachen, waren nur eins – very impressed.
Lysander besuchte inzwischen das Gymnasium, und ich hatte gehofft, dass er dort mit Jugendlichen ohne nationalsozialistischen Familienhintergrund zusammenkommen würde.
Diese Hoffnung erfüllte sich auch zunächst, und zu Hansmanns Missfallen frischte Lysander die Freundschaft zu Aaron Rosenbaum wieder auf, dem Sohn eines Musikalienhändlers aus der Nachbarschaft der Brüderstraße. Mich freute diese Freundschaft, denn die Rosenbaums hatten viele Musiker in ihrem Freundeskreis. An den Salonabenden in ihrem Haus lernte ich Grünbaum, Hollaender und Peter Kreuder persönlich kennen, wodurch ich immer mal wieder zu einem Engagement gekommen war. Als ichsie nun mit Friedrich und Klara wieder einmal besuchte, traf ich zu meiner freudigen Überraschung Kale Kalsen bei ihnen an, der sein Kabarett wiedereröffnet hatte. Es hieß inzwischen »Noch immer hinter dem Mond«. Zu gerne wäre ich wieder bei ihm eingestiegen, aber der Gutsbetrieb absorbierte meine ganze Arbeitskraft.
»Vielleicht wenn alles läuft«, machte ich ihm und mir Hoffnung.« Aber er lächelte nur müde. »Wenn du so weit bist, Amanda, werde ich nicht mehr hier sein.«
»Sag so etwas nicht«, versuchte ich ihn aus seiner Melancholie herauszuholen. »Alles wird gut und wir werden in einem freien Deutschland ein neues, ganz großartiges Programm auf die Beine stellen.«
Aber er sollte recht behalten. Bei meinem nächsten Besuch in Berlin sagten mir die
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