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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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keine schöne Erinnerung an Ihre Mutter Estelle? Nichts, was es Ihnen leichter macht, an sie zu denken?«
     
    Ich schwieg und zwang mich zurück in den wirbelnden Tunnel, an dessen Wänden immer und immer wieder mein Leben wie aus einer Laterna magica in schattenhaften Bildern ablief. Irgendwo dazwischen würde ich ihr begegnen … aber ich konnte nicht sagen, ob es eine freundliche oder eine feindliche Begegnung sein würde … Ich fühlte den dumpfen Schmerz, als man mich aus ihr heraus ins Leben zerrte … und sofort in fremde Hände gab … Ich spürte die Leere ihrer Brüste, an denen ich meinen Durst nicht stillen konnte … statt ihrer Haut berührten mich fremde Hände bis zu dem Moment, als sie eines Tages an meiner Wiege stand, mich herausriss und so heftig an sich presste, dass mir der Atem fast wegblieb. Und so ging es weiter … meine ganze Kindheit hindurch …
     
    »Sie kam und herzte mich oder sie stieß mich ohne Grund oder Erklärung von sich. Aber ich habe sie dennoch geliebt.«
    »Was war denn liebenswert an ihr? Sie beschreiben nur ihr negatives Verhalten. Erzählen Sie etwas, was sie in einem milderen Licht erscheinen lässt.«
    »Sie las mit Gedichte vor …«
    »Was für Gedichte? Kindergedichte?«
    »Liebesgedichte … aber auch da dachte sie an meinen Vater … nicht an mich … ich war nur ein Vorwand, das, was sie mir vorlas, wollte sie eigentlich ihm sagen …«
    »So hat sie Ihren Vater sehr geliebt, das musste Sie doch glücklich machen, dass Ihre Eltern sich so liebten.«
    »Er liebte mich auch … ich liebte ihn … Irgendwann las sie mir nur noch Gedichte vom Krieg vor, von Georg Heym, einem toten Freund aus Berlin … da wusste ich, dass sie die Hoffnung aufgegeben hatte …«
    Tränen liefen mir über das Gesicht. »Ich habe ihn auch verloren und niemand hat mich getröstet!«
    »Ich tröste Sie jetzt, Amanda.«
    Lenz zog mich vom Sofa, wir verließen das Haus und gingen durch den Garten zum See hinunter. Die Dunkelheit hatte ihren schwarzen Mantel über die Landschaft gebreitet und nur die Sterne funkelten und warfen glitzernde Reflexe von der Wasseroberfläche zurück. Ich atmete den kalten Hauch der Nacht und spürte, dass ich eins ihrer Geschöpfe war.
    »Sie sollten ihr verzeihen, Amanda. Wenn Sie die Kraft aufbringen, Ihrer Mutter zu verzeihen, dann werden Sie sich auch selber befreien.«
    Aber ich konnte es nicht. Jedenfalls jetzt noch nicht, nicht, bevor ich nicht wusste, warum sie mich so lieblos behandelt hatte. Als ich Lenz das sagte, nickte er nur.
    »Wir haben Zeit und wir werden die Antwort finden … irgendwann liegt sie plötzlich vor uns und alles klärt sich und Sie werden wirklich frei sein.«
     
    Lenz war eine Woche bei mir auf Blankensee geblieben, aber nun musste er wieder zurück zu seiner Arbeit in derAnstalt. Das hieß auch für mich, Abschied nehmen und Rückkehr ins Irrenhaus. Ich war ja nicht die einzige Patientin, die er betreute, und obwohl ich ihm besonders am Herzen zu liegen schien, konnte er sich doch nicht nur ausschließlich mir widmen. Andererseits wollte er die Analyse auch nicht unterbrechen, aber ich würde um nichts auf der Welt wieder in die Klinik gehen.
    So rannte ich in der Nacht vor unserer Abreise hinunter zum See, um mich in seinen eisigen Fluten zu ertränken. Im nassen, kalten Grab bei dem kleinen blonden Jungen zu ruhen, schien mir so viel verlockender, als erneut in der Isolierzelle einer Irrenanstalt zu hocken.
    Ich stieg aus meinem Hemd und ließ mich sanft vom Mondlicht streicheln, um dann langsam vom Steg in das eiskalte Wasser zu gleiten. Es reichte mir bis zu den Brüsten, und erst als ich zwischen knisterndem Röhricht weiter in den See hineinschritt, wurde es allmählich tiefer und tiefer, und ohne dass ich es bewusst wahrnahm, stand mir das Wasser bis zum Hals und schlug schließlich über meinem Kopf zusammen, als ich darin versank. Kleiner blonder Junge, nun bist du hier unten nicht mehr allein …
    Kälte und Dunkelheit umfingen mich und brausende Musik riss mich in den Wirbel schwereloser Unendlichkeit … Nie hätte ich gedacht, dass der Tod so schön sein könnte …
     
    »Amanda! Amanda, wachen Sie auf !« Es war die panische Stimme von Lenz, die an mein Ohr drang, während mein Körper heftig geschüttelt wurde und sich ein Schwall Wasser unter röchelndem Keuchen aus meinem Mund ergoss.
    Als ich die Augen aufschlug, lag ich in den Armen vonLenz, und Großvater Vanderborgs bleiches Gesicht beugte sich über

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