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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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von ihrem unterschied, da ich wie meine Mutter meist den größten Teil des Tages verschlief oder im abgedunkelten Haus verbrachte und erst bei Dämmerung richtig aktiv wurde. Auch verstanden sie nicht, dass ich kein Interesse am Spiel mit ihren Söhnen hatte. Sie waren mir zu langweilig und zu wohlerzogen, trauten sich nicht, auf Bäume zu klettern, geschweige denn zu reiten, und hatten Angst, sich die Kleidung zu verschmutzen, wenn ich mit ihnen raufen wollte, weil Tante Gertrud als echte Hamburgerin recht etepetete war. Andererseits zeigten sie auch überhaupt keinen Sinn für Musik oder Bücher, außer für das Neue Universum , wo sie sich hauptsächlich mit Artikeln zu Naturwissenschaft und Technik beschäftigten. Wenn ich mit Käthe und Gretchen beim Gemüseputzen in der Küche sang, nannten sie es »unwürdig«, wenn die Herrschaft beim Personal hockte. Diese Standesdünkel trieb ich ihnen aber sogleich handfest aus, sodass Hermann mit blutiger Nase und Wilhelm mit einem Veilchen abzogen und nie wieder solcheabfälligen Bemerkungen machten. Allerdings hatten sie mich bei Onkel Hansmann und Tante Gertrud verpetzt, die daraufhin von meiner Mutter verlangten, dass sie mir eine angemessenere Gesellschaft besorgte. Mutter verzankte sich darüber mit Gertrud, aber ich bekam ein eigenes Mädchen, Rieke aus dem Dorf, damit ich weiblichen Umgang hatte. Sie wurde mir tatsächlich bald lieb wie eine Freundin. Umso weniger begreife ich bis heute, wie ich ihr etwas so Schlimmes antun konnte, dass man mich dafür in eine Anstalt für Verrückte einweisen musste!
     
    A
manda! Hier sind Sie!«, Conrad Lenz trat zu mir an das Schreibpult meiner Mutter Estelle, an dem ich versuchte meine Erinnerung wiederzufinden, indem ich alles aufschrieb, was mir in den Sinn kam. Ich war froh, wieder auf Blankensee zu sein, aber der Zustand von Haus und Land war so betrüblich, dass ich darüber in eine Melancholie zu fallen drohte.
    Seit der Blutmahlzeit in der Klinik war auf wunderbare Weise nicht nur mein Körper wieder lebens-, sondern auch ein beträchtlicher Teil meines Gehirns wieder funktionsfähig geworden. Allein meine Seele war noch von einem eisernen Korsett umgeben und wehrte jeden Zugriff ab.
    »Genau da aber, Amanda, dort im Unbewussten, liegt das, was Ihnen als Erinnerung abhandengekommen ist, weil Sie es mit dem Bewusstsein nicht ertragen könnten.«
    »Warum lassen wir es dann nicht dort?«, fragte ich unkooperativ, denn ich war es leid, von ihm wie eine Kranke behandelt zu werden. »Was macht es aus, wenn ich die eine oder andere Gedächtnislücke habe, wer fragt danach?«
    »Ich frage danach«, blieb Lenz hart. »Bitte legen Sie sich auf die Couch.«
    Wir gingen hinüber zu der zierlichen Chaiselongue, welche unmittelbar vor den bleiverglasten Bücherschränken stand, und wie es schon zu einem Ritual geworden war, legte ich mich nieder und Lenz rückte einen Armlehnstuhl an das Kopfende und setzte sich zu mir.
    »Entspannen Sie sich, Amanda«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Schließen Sie die Augen und denken Sie an gar nichts. Ich werde Ihnen jetzt wieder ein paar Wörter nennen und Sie antworten mir sofort mit dem ersten Begriff, der Ihnen dazu einfällt. Sie kennen das Spiel ja schon. Sind Sie bereit?«
    »Ich bin bereit.«
    »Frühling.«
    »Vögel.«
    »Pferde.«
    »Krieg.«
    »Noch etwas? Fällt Ihnen zu Pferden noch etwas ein?«
    »Ausreiten, Amadeus, Tod …«
    »Sie sind mit Amadeus ausgeritten?«
    »Ja.«
    »Sie haben gesagt, Amadeus sei Ihr Vater. Wie war er? Können Sie ihn mir beschreiben?«
    »Er ist tot, er ist nur noch ein kaltes Stück Metall in der Hand meiner Mutter … Sie weint ohne Tränen … sie schiebt meine Hand zurück, als ich sie trösten will … sie will mich nicht in ihrer Nähe … sie ist so kalt … wie ein Stein … und obwohl ich weine, hat sie keinen Trost für mich … Er ist doch nicht nur ihr Mann gewesen … er war doch auch mein VATER!!!«
    Ich hörte, wie mein Schrei sich an der Decke des Raumesbrach, und fühlte ihn zerborsten auf mich zurückfallen. Verschreckt hatte ich mich aufgesetzt und kauerte nun auf dem Kanapee, die Beine angezogen und mit meinen Armen umschlungen wie ein Kind im Mutterleib.
    Lenz verstummte angesichts der Wucht, mit der sich meine Erinnerung den Weg ans Licht bahnte.
    »Sie hat mich nicht geliebt …«, sagte ich leise. »Sie hat mich von sich gestoßen, von anderen aufziehen lassen … sie hat mich gehasst und ich weiß nicht, warum …«
    »Gibt es

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