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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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schob, hatte ich das Gefühl, einen verbotenen Blick in ihr Inneres getan zu haben. Wo mochte sie jetzt sein? Ihr ungewisses Schicksal bedrückte mich.
    Die Liebe aber wurde mir zunehmend unheimlicher.
     
    Als ich mich in mein Bett warf, schien mir mein Triebleben ein einziger schrecklicher Fluch zu sein, und ich bezweifelte deswegen, dass Lenz mir jemals würde helfen können.
    Doch schon jetzt begann ich ihn zu vermissen.
    Den Rest der Nacht wälzte ich mich unruhig hin undher. Ich wurde von einem schrecklichen Albtraum geplagt, in dem ich in einem riesigen Blutsee zu ertrinken drohte, an dessen Ufer Conrad Lenz verzweifelt winkte und mit irgendetwas zurief, was ich aber nicht verstand. Am Morgen konnte ich mich daran zwar kaum noch erinnern, aber zerschlagen und völlig aufgewühlt spürte ich plötzlich Regionen meines Körpers, die mir bisher eher fremd gewesen waren. Das muss die Libido sein, dachte ich verschämt und verfluchte Lenz und sein Gerede von meiner Weiblichkeit.
     
    Natürlich stand ich an diesem Morgen sehr viel länger vor dem Spiegel in meinem kleinen Bad. Er war raumhoch und von Ornamenten aus weißen Lilien und blauen Blumen der Romantik eingerahmt. Ich ließ das zarte Seidennachthemd aus dem Schrank meiner Mutter langsam von meinen Schultern gleiten, sehr langsam, zunächst nur bis zum Ansatz meiner Brüste. Dann betrachtete ich eine Weile mein Gesicht, meinen schlanken weißen Hals und das Dekolleté. Bläuliche Adern schimmerten durch die Haut, die wie geäderter Marmor aussah. Oder wie marmorierter Stuck, so wie an den Säulen des Eingangs zur Wohnung.
    Ich geriet in schwärmerisches Träumen, und wie der schöne Jüngling Narziss begann ich mich an meinem Spiegelbild zu berauschen. Drei Jahre war ich durch die Hölle der Irrenanstalt gegangen und hatte meinen Körper nur als eine Quelle andauernden Schmerzes empfunden, nun erlebte ich ihn zum ersten Mal wieder als etwas Schönes, Beglückendes, als etwas, das genauso zu mir gehörte wie meine Seele, der in den letzten Jahren ausschließlich Aufmerksamkeit geschenkt worden war.
    Der glatte Seidenstoff rutschte weiter, die Brüste hinab,über den Bauchnabel hinweg, mit dem ich mit der Mutter verbunden gewesen war, bis hinunter zur Hüfte, dann die Oberschenkel entlang zum Boden. Ich stieg mit den Füßen aus dem duftigen Stoffhäufchen und bot mich mir selbst nun in völliger Nacktheit dar. Ich atmete heftig wie im Rausch und konnte nicht verstehen, dass mein Körper nach allen Torturen, die er mitgemacht hatte, so makellos war. Keine Spuren irgendeiner Verletzung, keine Narben. Und was ich außerdem sah, war das, was auch Lenz gesehen hatte – meine Weiblichkeit. Ich war kein Kind mehr, sondern eine Frau. Am meisten aber erstaunte es mich, dass ich diesen Anblick genoss.
    »Amanda? Bist du schon wach?«, riss mich die Stimme des Großvaters aus diesen Betrachtungen. Ich trat dem kleinen Narziss in mir in den Hintern und wandte mich vom Spiegel ab, dem Waschbecken zu.
    »Ja, ich bin wach, aber noch bei der Toilette. Ich komme in zehn Minuten.«
    Ich wusch mich rasch, mit so wenig Wasser wie möglich, machte mir das Haar und suchte mir dann ein einfaches Kleid aus dem Schrank, wo neben meinen wenigen Sachen Mutters prachtvolle Roben hingen. Einen Augenblick fragte ich mich, ob mir davon wohl auch etwas passen würde, verwarf den Gedanken aber sofort. Ein Nachthemd von ihr auszuleihen war gerade noch vertretbar, aber eines ihrer Kleider zu tragen empfand ich dann doch als Hybris. Sie war eine Göttin, ich ein Wildfang vom Lande, zu dem alles besser passte als mit schimmernden Pailletten bestickte Jugendstilkleider.
    Aber anprobieren würde ich gewiss mal eins. Dazu war ich viel zu neugierig, auszuprobieren, wie meine »Weiblichkeit« in einem solch edlen Gewand wirken würde. Nein, ichwar nicht wieder reif für die Anstalt, sondern nur ein kleines bisschen verwegen und, um in der Freud’schen Terminologie von Lenz zu sprechen, meinem Ich ein wenig nähergekommen und, nun ja, meiner Libido vielleicht auch.
     
    Es wäre schon schön, wenn ich Conrad Lenz bei Gelegenheit dazu noch einmal etwas genauer befragen könnte. Zu dumm, dass ich ihn nicht hatte ausreden lassen. Herr Dr. Sigmund Freud wurde mir zunehmend interessanter, und ich hätte zu gerne von Lenz gehört, was er wohl zum Verhältnis von Mann und Frau gesagt hatte.
    Ich durchstöberte die Bücherregale meiner Mutter, fand aber kein einziges Werk von Freud. Dafür aber entdeckte

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