Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Freund anvertraut hatte? Wenn ich dich daran erinnern darf: Das Geheimnis, das wir aufdecken wollten, liegt hinter einer Eisentür im Untergeschoss von Gut Blankensee, nicht in meiner gestörten Libido!«
Ich drehte mich um und ging mit schnellen Schritten zum Gutshaus. Lenz eilte hinter mir her.
»Amanda, so bleib doch stehen, so kann man doch nicht vernünftig miteinander reden … bitte, so habe ich das überhaupt nicht gemeint … du, du bist perfekt … ein wunderbares Mädchen … ich liebe dich … und … ja … ich gebe es zu … ich begehre dich auch körperlich … aber …
Verdammt noch mal, bleib stehen!«
Es klang so verzweifelt, dass ich tatsächlich anhielt und mich zu ihm umdrehte.
»Was aber?«
»Ich werde mich im Triebverzicht üben, bis du meine Liebe akzeptierst … ich … war einfach zu ungeduldig …«
Ich musste lachen, weil er gar zu zerknirscht wirkte, und sagte gnädig:
»Brav gesprochen, Herr Dr. Lenz! Ich vergebe Ihnen.«
Und um ein Versöhnungsangebot zu machen, fragte ich scherzhaft: »Von wem war dieses überaus romantische Gedicht, das Sie rezitiert haben und das Ihre Libido so ungemein befeuerte?«
»Hei… Heine … Heinrich Heine«, stammelte er verwirrt.
»Fein, dann schreiben Sie es mir doch bitte auf. Wählen Sie feines Leinenpapier und wasserfeste Tinte, dann kann ich es an meinem Busen tragen, und Sie dürfen hoffen, dass seine Worte von dort irgendwann den Weg in mein Herz finden werden. Mal sehen, ob es bei mir dann die gleiche Wirkung wie bei Ihnen hat!«
Er merkt nun die Ironie, und als ich lachend ins Haus stürmte, rannte er fluchend hinter mir her. »Du Hexe«, rief er, »mich so an der Nase herumzuziehen!«
Es wurde noch ein gemütlicher Abend.
Natürlich grübelte ich darüber nach, ob ich Großvater Vanderborg Estelles Chronik zeigen sollte, aber vieles, was ich darin gelesen hatte, war so schrecklich, dass ich befürchtete, die Erkenntnis, dass hauptsächlich er mit seinem aus dem Ruder gelaufenen Experiment daran die Schuld trug, könnte ihn umbringen. Bis zur Abreise verbarg ich das Buch sorgfältig in einem Geheimfach ihres Sekretärs, las nur nachts darin, wenn ich von Lenz nicht bei der Lektüre überrascht werden konnte, und lernte vieles über Vampire. Ein Wissen, das meine Mutter von einer alten Zigeunerin hatte, mir aber in einigen Punkten doch etwas veraltet zu sein schien.
Sie hausen in Grüften und schlafen in Särgen und fallen in Rotten über die Menschen her, um ihnen ihr Blut auszusaugen. Davon leben sie und es erhält ihnen ihre jugendliche Kraft, denn sie sind Untote, verdammt zu einem ewigen Leben in Gottlosigkeit, rastlos und verflucht. Ihre Zähne werden in der Nacht spitz und scharf und sie beißen damit ihren Opfern in den Hals, da, wo die große Ader das meiste Blut führt. Sie saugen sie aus und lassen sie als blutleere Hülle zurück. Sie sind eine geheime, dunkle Zunft, die das Sonnenlicht meiden muss, weil es sie tötet. Wir Menschen erlangen nur bruchstückhaft Kenntnis von diesen mystischen Wesen, denn wer sich in ihre Nähe begibt, ist schnell des Todes …
Grüfte, Särge … das erinnerte mich zwar an Graf Orlok, hatte aber mit meinen Leben zum Beispiel gar nichts zu tun. Aber der Blutdurst, die Lichtempfindlichkeit, die aus dem Kiefer wachsenden Zähne, das waren Übereinstimmungen, die sich nicht wegleugnen ließen. Die Befürchtung, die ich angesichts des Films Nosferatu hatte, fanddurch die Aufzeichnungen meiner Mutter unleugbar ihre Bestätigung. Und obwohl mir bei dem Gedanken graute, würde ich ihr Schicksal teilen müssen, denn es war mir von Geburt an in die Wiege gelegt worden. Die Frage war, würde ich genau wie sie darunter leiden müssen oder gab es einen Weg, dieses Schicksal so anzunehmen, dass ich nicht darüber in Melancholie oder Wahnsinn versank. Conrad, dachte ich, Conrad wäre der Richtige, um mit ihm darüber zu diskutieren.
Aber die Entscheidung, ob ich ihn in die Chronik einweihen sollte, fiel mir schwer. Mit dem Buch hielt ich viele Beweise für seine Vermutung in der Hand, dass die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir von Anfang an gestört war. Mit fast schon brutaler Ehrlichkeit hatte sie aufgeschrieben, wie ambivalent ihre Einstellung zu mir war und wie sie den Gedanken kaum ertragen konnte, dass ich die Frucht einer Vergewaltigung durch Utz sein könnte. In dem Punkt war Conrad zweifellos auf dem richtigen Weg und die Chronik konnte sicher für einen Freudianer wie ihn
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