Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
sicher, dass er zu der Eisentür gehörte.
Ich fand tatsächlich im Küchenbuffetschrank eine Schublade mit diversen, wohl weitgehend ausgemusterten Schlüsseln, zu denen es längst keine Schlösser mehr gab. Unter ihnen befand sich auch jener besonders auffällige Schlüssel, der allein schon wegen seiner ausgefallenen Größe als einziger zu der Eisentür passen konnte.
Ich ergriff ihn und eilte hinüber zum Ostflügel. Als ich ihn mit vor Aufregung zitternden Fingern in das Schlüsselloch steckte, passte er, und nach ein paar vergeblichen Versuchen gelang es mir auch, ihn herumzudrehen und das Schloss zu öffnen. Mit sehr viel Kraftanstrengung stieß ich die unglaublich schwere Tür auf und wäre fast die Steintreppe hinuntergestürzt, die unmittelbar dahinter ins Dunkel führte. Ich fing mich jedoch und stieg sie langsam und vorsichtig hinab. Licht brauchte ich nicht, denn mittlerweile sahen meine Augen bei Nacht sehr gut.
Am Ende der Treppe lag ein Flur, von dem zu beiden Seiten Kellerräume abgingen, die mich jedoch bis auf einen nicht interessierten. Dieser eine aber war der Kohlenkeller, schwarz vor Staub, und in diesem Staub waren die Abdrücke nackter Füße zu sehen. Zarter Frauenfüße. Der Anblick griff mir ans Herz, und ganz plötzlich tauchte schemenhaft das bleiche Gesicht meiner Mutter Estelle vor mir auf und eine Verzweiflung wehte aus dem Kellerraum zu mir herüber, die mir die Tränen in die Augen trieb. Als ich verwirrt vorwärtsstolperte, war ich mir sicher, dass dies der Ort war, an dem Utz sie gefangen gehalten hatte. Und ich begriff intuitiv, dass nach dieser Folter ein Stück von ihr gestorben war, das auch die Liebe eines Kindes nicht wieder zum Leben erwecken konnte.
Am Ende des Kellerganges stieß ich auf eine Mauer, aber mein Blick ging durch sie hindurch und ich wusste, dass auch ich durch sie hindurchgehen konnte, wenn ich den geheimen Mechanismus betätigte, der sie mir öffnete.
Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es ihn gab, denn ich war bereits einmal hier gewesen – als Kind. Mit meiner Mutter und Amadeus.
Ich suchte die Wand ab, aber ich fand nichts. Zorn stieg in mir auf und ich musste mein Temperament zügeln, das am liebsten mit dem Kopf durch die Wand wollte.
»Ruhig, Amanda«, befahl ich mir jedoch Vernunft. »Ganz ruhig, es wird dir schon noch einfallen.«
Ich begann den Kellergang auf und ab zu laufen, um den Denkprozess anzuregen.
Der Mechanismus, wo war er? Wo verbarg man so etwas, damit es nicht jeder gleich fand?
Ich suchte die Wände ab, die Gewölbedecke, dann stieß ich mit dem Fuß gegen eine tote Ratte und mein Blick fiel auf den Steinboden. Schlagartig war die Erinnerung da und verdrängte den ekelerregenden Anblick des halb vermoderten Kadavers, nur der Geruch hing mir noch ein wenig nach, als ich wieder zurück zur Mauer lief. Zwischen den Bodenplatten fand ich sehr bald jene Platte, unter der sich der Schließmechanismus verbarg. Sie war völlig unauffällig und niemand, der nicht von ihrem Geheimnis wusste, hätte ihr irgendeine Aufmerksamkeit geschenkt. Aber ich erinnerte mich nun, dass meine Mutter ihn mir ganz genau erklärt hatte und mich ihn mehrmals auch selber ausprobieren ließ. So hob ich die Platte nun ein wenig an und gelangte an ein Rad und ein paar Hebel, die man zusammen nach einem ganz bestimmten Schema bewegen musste. Ich war noch dabei, mir den Ablauf wieder ins Gedächtnis zurufen, als meine Hände wie von selbst die richtige Kombination einstellten und die gesamte Wand mit schleifendem Geräusch und unter heftigen Vibrationen zur Seite fuhr.
Ich hatte es wiedergefunden – das Geheime Gewölbe der Vanderborgs.
Meine Mutter Estelle hatte es über mehrere Jahre hinweg in den alten Kellern des Gutshauses ausbauen und einrichten lassen. Ich hatte es von meinem ersten und einzigen Besuch mit ihr und meinem Vater als sehr beeindruckend in Erinnerung. Nun aber stellte ich fasziniert fest, dass sie hier unten für die vampirischen Mitglieder der Familie Vanderborg ein äußerst komfortables Refugium geschaffen hatte. Die fensterlosen Räume boten optimalen Schutz vor dem Sonnenlicht, und der geheime Zugang gewährleistete Privatheit, auch wenn das Gut gleichzeitig noch von anderen Familienmitgliedern, wie etwa der Familie von Hansmann, bewohnt wurde. Es bot zudem Schutz vor Feinden aller Art.
Mutter hatte es nach dem neuesten technischen Standard und mit sehr viel Sinn für Stil ausstatten lassen. Der Boden war mit ornamentalem
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