Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Mann?«
Ich nickte. »Sie, sie ist es, glaube ich, immer noch … also, wenn sie und er noch leben …«
Wir schwiegen nun beide, bis ich es nicht mehr aushielt. »Aber geliebt hat sie nur Amadeus, den Utz hat sie gehasst!«
Warum, mochte ich ihm immer noch nicht sagen.
Conrad sah auf die dunkle Straße und wirkte angespannt. »Das erklärt einiges«, meinte er schließlich. »Ich meine, ihre Ambivalenz dir gegenüber. Wenn sie in dir die Tochter des Geliebten sah, vergötterte sie dich, aber entdeckte sie an dir Ähnlichkeiten mit ihrem verhassten Ehemann, so war es ihr unmöglich, dich zu lieben.« Er seufzte. »So aufzuwachsen, ist für ein Kind eine schwere psychische Belastung, denn es fehlt ihm die Beständigkeit in der mütterlichen Zuwendung, die nötig ist, um in ihm das Urvertrauen zu anderen Menschen zu entwickeln.«
Ich dachte über Conrads Worte nach und musste ihm recht geben. Meine Mutter war nie verlässlich, und weil ich selten wusste, in welcher Stimmung sie gerade war, mied ich schließlich den Kontakt zu ihr, obwohl ich mir nichts mehr wünschte als ihre Zuwendung.
»Kann eine Frau ein Kind lieben, das durch Gewalt gezeugt wurde?«, fragte ich nun doch.
Conrad sah angestrengt auf die Straße. »Ich denke schon«, sagte er schließlich. »Aber es wird ihr schwerfallen und sie wird es vielleicht nicht immer gleichmäßig lieben können … sie wird manchmal an den Gewaltakt denken und sich wünschen, es wäre nie geboren … aber dann wird das Kind sie anlachen und sie wird es doch wieder lieben, weil es ja nichts für seinen Vater kann …«
»Also könnte meine Mutter mich auch lieben, wenn ich das Kind von Utz wäre, obwohl sie ihn hasst?«
Conrad nickte. »Ich bin fest davon überzeugt, dass sie es zumindest versuchen würde …«
»Ja«, sagte ich, »sie hat es versucht … das stimmt …« Und traurig fügte ich hinzu: »… aber es ist ihr nicht immer gelungen.«
W
ieder in Berlin ging mir die Eisentür immer noch nicht aus dem Kopf. Ich hasste es, die Dinge nicht zu Ende zu bringen, und schon als kleines Kind hatte ich lange und beharrlich nach Lösungen gesucht. Was meiner Mutter offenbar Respekt abgenötigt hatte, denn sonst hätte sie es wohl kaum in der Chronik erwähnt – einschließlich der damit oft einhergehenden Wutausbrüche.
Aber es war hoffnungslos, mir fiel auch jetzt nicht ein, wo der Schlüssel sein könnte, und da das Leben weiterging und Berlin viele Abwechslungen für eine junge Frau bereithielt, vergaß ich ihn schließlich.
Erst im Spätsommer des Jahres 1923, als ich wieder einmal in der Chronik der Vanderborgs blätterte und las, wie liebevoll sich Käthe meiner angenommen hatte, fiel mir ein, dass ich als Kind gerne bei ihr in der Küche gesessen hatte. Oft beschäftigte sie mich dann damit, einen Haufen Schlüssel nach deren Größe zu sortieren. Ein Schlüssel warmir dabei besonders aufgefallen, denn er war viel größer als die anderen und wirkte sehr alt.
Umgehend berichtete ich Conrad von dieser Erinnerung und bearbeitete ihn so lange, bis er mir versprach, noch einmal mit mir nach Blankensee zu fahren.
»Wozu hast du ein Automobil, wenn du es nicht benutzt!«, stichelte ich. »Oder reicht es für den Kraftstoff nicht mehr?«
Wie so oft schüttelte er über meine Frechheit nur den Kopf und meinte dann entgegenkommend:
»Also gut, aber mach mir bitte keine Vorwürfe, wenn mich die Luft dort wieder derart vitalisiert, dass ich die gebotene Zurückhaltung einer jungen Dame gegenüber vergesse.«
Sollte das eine Drohung sein? Ich hob mahnend den Zeigefinger: »Herr Lenz, Herr Lenz, was würde Dr. Freud denn dazu sagen?! Sie wollen ihm doch wohl keine Schande machen?«
»O nein, ganz und gar nicht. So wie ich ihn verstanden habe, ist es ein offenes Geheimnis, dass gerade die bürgerliche Gesellschaft die Menschen durch erzwungenen Triebverzicht zu Neurotikern macht.«
»Das will ich nicht, Conrad, dich zum Neurotiker machen«, brach ich das Wortgeplänkel ab, bevor ich den Kürzeren ziehen würde. »Ich möchte einfach nur nach Blankensee und das Geheimnis ergründen, das hinter der Eisentür liegt. Da müssen andere Geheimnisse erst einmal warten.«
Kaum waren wir am folgenden Sonnabend spätabends auf Gut Blankensee angekommen und Conrad nach einem gemütlichen Plausch erschöpft im Kaminsessel eingedöst, machte ich mich auf den Weg in die Küche, um dort nachdem Schlüssel aus meiner Erinnerung zu suchen, denn ich war mir ziemlich
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