Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Steinzeug gefliest und neben zwei Salons begeisterte mich eine gut bestückte Bibliothek mit einem Sekretär und einer gemütlichen Sitzgruppe. Außerdem gab es eine größere Anzahl von Schlafräumen mit angeschlossenen Bädern. Mutter hatte mir erklärt, dass sie aus dem Grundwasser gespeist wurden. Überhaupt war man hier unten vollständig autark und unabhängig vom Gut.
Ich fragte mich nun doch, warum meine Mutter einen solchen Aufwand betrieben hatte, denn solange ich mich erinnern konnte, wurden diese Räume nie benutzt. Jedenfalls hatte ich es nicht erfahren. Möglicherweise trafsie sich hier mit Amadeus … angesichts des wunderschönen großen Vierpfosten-Doppelbettes, vor dem ich grade stand, schien mir das nicht unwahrscheinlich. Mir wurde warm ums Herz, wenn ich daran dachte, dass die beiden sich hier geliebt hatten.
»Geh nicht fort, Geliebter! Lass die anderen ihr Leben für den Kaiser geben. Dein Leben wird hier gebraucht, bei deinem Weib und deinem Kind. Wir brauchen deinen Schutz, deine Liebe … wir brauchen dich! Du darfst uns nicht verlassen, nicht für diesen sinnlosen Krieg!«
Ich hörte meine Mutter, wie sie Amadeus anflehte, und ich sah, wie sie sich ihm ein letztes Mal in die Arme warf, mit wilder, verzweifelter Leidenschaft, so als hätte sie gewusst, dass sie ihn nie wieder sehen würde …
Warum nur musste Amadeus in diesem schrecklichen Krieg fallen? Auch wenn meine Mutter Zweifel an seiner Vaterschaft hatte, ein Vater war nur er für mich gewesen. Unser ganzes Glück war durch seinen Tod zerbrochen, alle waren plötzlich fort, nur ich blieb als Waise zurück.
Ich riss mich los, schloss die Tür und ging weiter, um auch die anderen Räume zu inspizieren. Als ich den letzten Raum öffnete, blieb ich wie erstarrt auf der Schwelle stehen.
An einem etwas kleineren Himmelbett waren die Vorhänge zugezogen, aber dahinter erkannte ich die schattenhaften Umrisse eines auf dem Bett liegenden Körpers.
Als der erste Schreck nachließ, trat ich zögernd näher. Ich fürchtete mich davor, den Vorhang zur Seite zu schieben, denn ich wusste nicht, welches Grauen mich erwarten würde. Doch dann keimte in mir die Hoffnung auf, dort vielleicht meine Mutter zu finden. Wenn sie ein Vampirwar, warum konnte sie dann nicht, so wie es Graf Orlok in seinem Sarg getan hatte, hier ruhen und auf bessere Zeiten warten? In todesähnlichem Schlaf, aber nicht tot. Jederzeit bereit, wieder zu erwachen und das Leben neu zu beginnen.
Eine wunderbare und beglückende Vorstellung. Und so trat ich mit wenigen festen Schritten an das Bett und zog entschlossen einen der zarten Vorhänge zur Seite.
Auf dem Bett lag, eingehüllt in die Blässe des Todes …
mein Onkel Friedrich!
Da ich anderes erwartet hatte, war ich einen Moment völlig verwirrt von seinem Anblick, und in mir mischten sich Enttäuschung, Überraschung und ungläubiges Staunen zu einem schwer verdaulichen Gefühlsbrei. Mich ergriff eine fiebrige Erregung, denn was ich im ersten Augenblick für eine Leiche gehalten hatte, konnte nicht tot sein. Da meine Mutter, wie ich der Chronik entnommen hatte, Onkel Friedrichs Kriegsverletzung dadurch geheilt hatte, dass sie ihn zu einem Vampir gemacht hatte, musste er eigentlich unsterblich sein. Das hieß, er war … möglicherweise lebendig … im Tiefschlaf … in einer vampirischen Überlebensstarre … was auch immer … aber hoffentlich nicht tot! Ich trat näher zum Kopfende des Bettes, betrachtete meinen leblosen Onkel eingehend, berührte vorsichtig seine Haut und fand, dass sie weder wächsern noch gelblich aussah, wie man es von Toten hört. Sie war zwar eiskalt, aber wunderbar weiß. Auch stank es nicht nach Verwesung, sondern lediglich ein feiner moschusartiger Geruch strömte von Friedrichs Körper aus, vermischt mit dem männlich herben Duft von Zedernholz.
Onkel Friedrichs Augen waren geschlossen. Eine Weile sah ich ihn stumm und versunken an. Er trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd mit Rüschen, das an der Brustoffen war. Er sah verwegen und sehr gut aus. Auch schien er kaum gealtert zu sein, obwohl er mindestens Anfang der Dreißiger sein musste. Sein Haar war dunkel und voll, aber relativ kurz geschnitten. Offenbar war es, seit er hier lag, nicht mehr weitergewachsen. Das beunruhigte mich nun doch, denn wenn Friedrich noch lebte, mussten zumindest ein paar Lebensfunktionen aufrechterhalten bleiben. Bei Graf Orlok fehlte das Haar ganz, aber seine Fingernägel waren zu
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