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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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öffnete, musste ich mich beinahe übergeben. Selbst für mich, die ich inzwischen durch eigenes Leid hartgesotten war, waren der Anblick und der Geruch der verwesten Frauenleiche auf dem Bett kaum zu ertragen. Eine Horde von Ratten tat sich an ihren fleischlichen Überresten gütlich. Aus dem Gesicht ragten bleich die abgenagten Wangenknochen, und in dem Loch, wo vormals ihre Nase gewesen war, wand sich ein Gewimmel weißer Maden. Die Leiche musste seit Wochen hier liegen.
    »Warum, warum beerdigt er sie nicht?«, stammelte ich entsetzt und lehnte mich an Friedrichs Brust, an die er mich mit einer beschützenden Geste gezogen hatte.
    »Ich glaube, dazu ist er nicht mehr in der Lage. Ich bezweifle, dass dieser Fleischberg überhaupt noch bewegungsfähig ist.«
    »Aber sie muss aus dem Haus. Sie zieht die Ratten an … Wir können nicht mit Dutzenden von Ratten hier zusammenwohnen!«
    »Wir könnten sie als Vorspeise oder zum Dessert verspeisen …«, meinte Friedrich zynisch.
    »Friedrich, du bist eklig. Du denkst doch nicht, dass ich mich an dem Wirt vergreifen würde. Hast du es denn nicht gerochen, der Mann hat flüssigen Knoblauch in den Adern!«
    Friedrich lachte und es klang denkbar unfroh.
    »Ein Scherz, Amanda, aber wenn du mich fragst, ich weiß auch nicht, was wir machen sollen. Wir brauchen eine Unterkunft, von der aus wir operieren können, ohne dass Utz sofort von unserer Anwesenheit erfährt. Dies Haus wäre geeignet, denn es liegt weit genug von der Burg entfernt und eine wandelnde Knoblauchknolle wird nicht nur uns abschrecken.«
    Ich musste ihm zustimmen, und so beschlossen wir, die Leiche des Mädchens zu entsorgen und uns am Ende des Ganges vier Zimmer herzurichten. Friedrich und ich brauchten keine Nahrung und Conrad und Vanderborg würden zunächst noch von dem Proviant leben können, den wir vorsorglich im Auto mitgeführt hatten. Keiner von beiden war zwar glücklich über die Situation, aber als der Wirt nach gutem Zureden und reichlich Wein und Schnaps sich schließlich einverstanden erklärte, wollten sie ihn auch nicht durch eine Zurückweisung brüskieren und begannen, da der Regen nachgelassen hatte, das Gepäck aus dem Auto zu holen.
    Währenddessen schleppten Friedrich und ich die in ein Laken gehüllte Leiche durch einen Hinterausgang nach draußen und warfen sie ein paar Häuser weiter auf einen stinkenden Misthaufen. Da fiel sie nicht weiter auf und würde den Weg allen Fleisches nehmen: Von Erde kommst du, in Erde gehst du und zu Erde wirst du wieder werden. Halleluja!
    »Komm weg, Friedrich«, sagte ich hastig, »ehe ich noch anfange mich zu bekreuzigen!«
    Lachend eilten wir zurück ins Gasthaus, wo Conrad und der Großvater in der Gaststube ein wenig Ordnung gemacht und einen Tisch für das späte Nachtmahl gedeckt hatten.
    Friedrich und ich entschuldigten uns jedoch und gingen hinauf, um die Zimmer herzurichten. Wir fanden noch saubere, allerdings etwas klamme und leicht angeschimmelte Bettwäsche, mit der wir die voluminösen Plumeaus und Kopfkissen bezogen. Wir lüfteten gründlich, weil Menschen es für gewöhnlich hassen, in ungelüfteten Räumen zu schlafen, und stiegen dann wieder hinunter in die Schenke.
    Dort hockten drei stockbesoffene Männer, von denen wir zwei hinauf in die Zimmer schleiften. Den Fleischsack ließen wir zusammengesunken hinter dem Tresen hängen. Da schlief er ja offenbar schon seit Wochen seinen täglichen Rausch aus.
    »Gute Nacht«, flüsterte ich ihm auf Polnisch ins Ohr.
    Er hob ein Lid und sah mich aus dem einen Auge an.
    »Ich schlafe nie«, brummte er, »niemand schläft mehr in Przytulek, wer schläft, den holen die Blutfresser!«
    Damit mochte er wohl recht haben, dachte ich, und mir war klar, dass er die Bewohner der Burg meinte. Und erneut kamen mir Zweifel, dass wir ihnen gewachsen sein würden.
     
    Es war nun ruhig. Die Gaslampen waren ausgebrannt und Finsternis hüllte die Gaststube ein. Friedrich und mir machte das nichts aus, denn wir sahen sehr gut in der Dunkelheit und hatten zudem ein besonders verfeinertes Gehör. Dennoch spürten wir eine unheimliche Bedrohung. Aber die Vertrautheit zwischen uns gab uns Stärke. In der Stille schwoll das Rauschen der vom Himmel stürzenden Wassermassen an wie das Brausen eines Wasserfalles. Kein Vampir liebt das Wasser, es war faszinierend, aber nicht unser Element, ebenso wenig wie das Feuer und die Luft. Unser Element war die Erde, unsere Stunde die Nacht und die Ewigkeit war unsere

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