Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Situation, ohne die Sprache zu sprechen, jemals wieder in den Griff kriegen konnten, als ich plötzlich einzelne Worte, die der Wirt ausstieß, verstand und wenig später seine Sätze aufnahm, als entstammten sie meiner Muttersprache. Sosehr mich das auch zunächst erschütterte, so praktisch und willkommen war mir dann diese seltsame Gabe, die gewiss ein Erbe meiner Mutter war, deren vampirische Wurzeln ja in diesem Ort lagen.
In der Hoffnung, nun auch meinerseits vom Wirt verstanden zu werden, fragte ich: »Ist dies noch ein Gasthaus? Sind Sie der Wirt hier?« Es schien zu funktionieren.
Er schüttelte nämlich den Kopf und nickte zugleich, was mich schließen ließ, dass dies zwar kein Gasthaus, eraber immerhin noch der Wirt war. Das war zwar einerseits dumm, da wir ja irgendwo in dieser verfluchten Gegend unterkommen mussten, andererseits lud das, was mal ein Gasthaus gewesen war, nicht gerade zum Verweilen ein.
»Und wo könnten wir dann Quartier nehmen?«, fragte ich freiheraus. Er zuckte die Schultern, was seinen ganzen Körper wie einen Wackelpudding wabbeln ließ, und öffnete dann eine Flasche Wein, aus der er uns in dreckige Gläser eingoss.
»Na zdrowie!«, sagte er und verschüttete etwas von dem roten Wein, als er sein Glas zum Mund führte. Er floss an seinem feisten Kinn herunter in den ungepflegten Bart und machte mir bewusst, dass ich seit Tagen ohne Nahrung war. Aber selbst wenn … er war mir einfach zu widerlich!
»Was ist mit Privatzimmern? Gibt es welche im Ort?«
»In welchem Ort?«, fragte er zurück, was mich nun doch überraschte.
»In Przytulek! So heißt der Flecken hier doch?«
»Es gibt kein Przytulek mehr. Der Krieg und die Seuche … sie haben alles zerstört … Wer konnte, ist von hier geflohen … ich bin der Letzte und ich gehe nicht eher, als bis man mich mit den Füßen voran aus dem Haus trägt.«
Falls dann jemand da ist, der dich hinausträgt, dachte ich sarkastisch. Den Letzten beißen allenfalls die Hunde oder, wie ich es mir hier besser vorstellen konnte, die Wölfe der Gegend, für welche dieser Fettsack wahrlich ein Festmahl abgeben würde.
»Und die Burg? Was ist mit der Burg? Lebt dort niemand?«, versuchte ich wenigstens noch ein paar Informationen aus ihm herauszuholen. Aber er begann sich erneut panisch zu bekreuzigen und ein »Ave Maria« zu murmeln, dass mir sogleich ganz übel wurde.
»Nein, nicht die Burg!«, rief er schließlich. »Nicht die Burg! Meidet sie … und auch den Friedhof … dort gehen dunkle Dinge vor …« Und mit einem lauernden Blick zum Großvater fügte er hinzu: »Ihr solltet selber wissen, dass dort das Böse haust! Ihr habt es mit Eurer unseligen Maschine heraufbeschworen, mit dem unchristlichen Frevel auf dem Friedhof habt ihr ihm das Tor in unsere Welt geöffnet. Was der Krieg nicht geschafft hat, schaffte das Grauen, das seitdem in der Burg herrscht – die blutfressende Seuche ist wieder ausgebrochen und hat alle hinweggerafft. Meine Tochter, das liebe Kind, das noch bis vor Kurzem für mich gesorgt hat, liegt tot und bleich in ihrer Kammer. Nur ich bin noch verschont. Warum? Ich weiß es nicht und würde ihr lieber heut als morgen in den Tod folgen …«
Sein nach Knoblauch stinkender Atem schlug mir schwer entgegen, und ich konnte mir denken, warum er bisher überlebt hatte, denn das Blut der Knoblauchfresser war bitter wie Schierling und brannte in den Eingeweiden wie Höllenfeuer. Kein Vampir würde es freiwillig trinken. Dennoch, so unangenehm seine Gesellschaft auch war, wir würden in diesem Hotel Quartier nehmen müssen. Bis zur Morgendämmerung etwas anderes zu finden, schien aussichtslos.
Ich zog Friedrich zur Seite.
»Meinst du, wir können es riskieren, hierzubleiben, ohne dass Lenz und der Großvater sich die Pest oder eine andere ansteckende Krankheit holen? Die Zustände hier sind völlig unhygienisch und ich mag nicht daran denken, wie wohl die Zimmer aussehen.«
»Lass sie uns erst einmal inspizieren«, schlug Friedrich vor.
»Ich werde Lenz darauf vorbereiten, was uns erwartenkönnte, und er, als Seelenkundiger, kann den Großvater schonend in Kenntnis setzen.«
So wurde es gemacht und wenig später stieg ich mit Friedrich eine vom Schankraum zu den Gästezimmern im ersten Stock führende knarrende Stiege hinauf. Ein Zimmer zog mich wie magisch an, und vor meinem inneren Auge sah ich dort die junge Estelle in Krämpfen auf einem Bett unter einem Kruzifix liegen. Doch als ich die Tür zu diesem Zimmer
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