Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
getischlert, das sein Schicksal, an diesem Ort dienen zu müssen, jammervoll beklagte.
Dämmerlicht umfing uns, was einerseits für uns Vampireeine Wohltat war, Großvater Vanderborg aber sichtlich nervös machte, da er ohnehin nicht mehr besonders gut sehen konnte. Er stolperte auch sogleich über einen dunklen Gegenstand, der ihm im Weg lag, und stieß darüber einen nicht ganz stubenreinen Fluch aus. Das war nicht weiter schlimm, denn der Schankraum wirkte wie ausgestorben. Die rohen, lange nicht mehr gescheuerten Holztische waren mit leeren Flaschen und umgekippten Gläsern übersät, und ein paar Ratten tummelten sich dazwischen, die sich an stinkenden Speiseresten gütlich getan hatten. Zahlreiche Stühle lagen umgestürzt am Boden. Einer davon hatte offenbar Großvater Vanderborg zum Straucheln gebracht.
Elektrizität schien es hier noch nicht zu geben, denn die einzige Lichtquelle waren ein paar Gasfunzeln, die auf dem Wirtshaustresen standen. Dahinter hockte ein langhaariges, bärtiges Wesen, das verkommener kaum hätte aussehen können und in wabbelndem Fett auseinanderzufließen schien. Eine speckige Weste, falsch über dem Bauch zusammengeknöpft, schien als Einziges diese traurige Gestalt noch zusammenzuhalten. Unrasiert, ungekämmt und, dem intensiven Knoblauchgestank nach zu urteilen, seit Wochen nicht gewaschen, warf uns der Wirt des Gasthauses ein unfreundliches polnisches Grußwort zu, das in meinen Ohren wie ein Rauswurf klang. Aber obwohl sich niemand von uns vorstellen konnte, in diesem Etablissement zu logieren, konnten wir doch schon alleine wegen des herrschenden Unwetters nicht sofort wieder hinaus. Mich überkam Ekel bei dem Gedanken, auch nur einen Tag in diesem Rattenloch verbringen zu müssen. Doch erst einmal hatten wir keine andere Wahl, wir mussten für den nächsten Tag einen Unterschlupf haben und unsere menschlichen Begleiter waren völlig erschöpft.
Ich war dennoch ziemlich aufgebracht und wandte mich ärgerlich an Friedrich, der die Reise mit dem Großvater zusammen organisiert hatte.
»Wann, sagtest du, wart ihr hier?«
Friedrich wirkte schuldbewusst.
»Ich gebe zu … es ist ein wenig her … und einiges hat sich wohl zu seinem Nachteil verändert …«
»Wann?«, beharrte ich auf einer exakten Antwort.
»1900, im Sommer, es war sehr heiß und …«
Ich unterbrach ihn und schnappte wütend:
»Das interessiert jetzt nicht, Friedrich! Was interessiert, ist, dass sich keiner, weder du noch der Großvater, vor unserer Abfahrt erkundigt hat, ob dieser Ort überhaupt noch existiert! Dies ist doch kein Gasthof, in dem man logieren kann! Das ist eine heruntergekommene Kaschemme, eine halbe Ruine … wie überhaupt das ganze Dorf ausgestorben zu sein scheint.«
»Du hast ja recht«, meinte Friedrich, gab aber doch flüsternd zu bedenken, dass an ihm die Zeit ein wenig vorbeigeeilt sei, als er im Geheimen Gewölbe geruht hatte. »Es tut mir leid, Amanda, aber es war mir einfach nicht bewusst, dass so viel Zeit seit unserer ersten Reise verflossen ist.«
»Dreiundzwanzig Jahre und der Große Krieg sind über diesen Ort hinweggegangen. Wie konntet ihr, du und der Großvater, annehmen, dass sich hier nichts verändert hat?«
Friedrich nickte und griff besänftigend nach meinem Arm.
»Ja, Amanda, wir hätten das bedenken müssen, aber sei ehrlich, es hätte dich doch auch nicht von dieser Expedition abgehalten, wenn du über die wahren Zustände, die hier herrschen, informiert gewesen wärest.«
Damit lag er freilich richtig, und so schien es mir das Beste, zunächst einmal zu prüfen, ob man sich mit den Verhältnissen arrangieren konnte. Der Großvater und Lenz hatten inzwischen schon selber den Versuch unternommen, mit dem Wirt zu sprechen, was allerdings wegen mangelnder Kenntnis der polnischen Sprache nicht recht gelingen wollte. Lediglich der Großvater beherrschte noch ein paar Brocken Polnisch, die er aufgeschnappt hatte, als er in seiner Jugend für einen Zauberkünstler in Warschau arbeitete. Die reichten allerdings nicht, um ein Gespräch zu führen. Schon gar nicht so ein schwieriges, wie es uns bevorstand. Denn der Wirt hatte Vanderborg inzwischen wiedererkannt und hob nun abwehrend die Hände und bekreuzigte sich, als stünde der Leibhaftige vor ihm.
Offenbar hatte der Ort nach Großvaters Experiment auf dem Friedhof am Fuße der Burg keine gute Zeit mehr gehabt und der Wirt machte ohne Frage ihn dafür verantwortlich.
Ich überlegte noch, wie wir die
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