Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Zeit.
»Wir können nicht hinaus, solange dieses Unwetter herrscht«, sagte ich leise und im Tonfall des Bedauerns. »Wo mag es in diesem Kaff für uns etwas zu essen geben?«
Friedrich sah mich fragend an.
»Nein, keine Ratten! Ich habe mir vorgenommen, nie wieder Ratten auszusaugen. Es ist erniedrigend!«
»Nicht so erniedrigend, wie sich an der Front das Blut sterbender Kameraden einzuverleiben …«
Ich war erschüttert.
»Das hast du getan?« Widerwillen gegen ihn stieg in mir auf.
Friedrich spürte es und legte seine Hand auf die meine, die ich jedoch fortzog. Seine Berührung war mir in diesem Moment entsetzlich unangenehm.
»Amanda«, warb er jedoch um Verständnis, »sie wären ohnehin gestorben. Der Krieg fragt nicht nach Recht und Unrecht. Nicht ich habe sie schließlich getötet, sondern der Feind.«
»Der Feind! Der Feind! Wer soll das gewesen sein? Der Franzose? Warst nicht du der eigentliche Feind an ihrer Seite, der von ihrem Tod profitierte?!«
»Nein, Amanda, das war ich nicht! Ganz entschieden, nein! Ich habe viele Kameraden gerettet und dabei nicht an mein Leben gedacht. Nicht umsonst bin ich so schwer verletzt worden und kehrte blind in die Heimat zurück.«
Ich erinnerte mich.
Mein geliebter Onkel Friedrich war so verändert, fremd und in sich gekehrt, kein Scherz kam mehr über seine Lippen … ich begann mich vor ihm zu fürchten …
»Du hast mir damals vorgelesen, Amanda, und du hast mir eine Katze geschenkt. Das hat mir sehr geholfen.«
Und dann war dieser glückliche Augenblick gekommen,als Onkel Friedrich eines Abends vollständig genesen vor mir stand und wir wieder zusammen ausreiten konnten.
Ich hatte mich damals gefragt, wie es zu dieser plötzlichen Heilung hatte kommen können. Alle sprachen von einem Wunder.
»Deine Mutter hat mich so geliebt, dass sie mir ihr intimstes Geheimnis anvertraute und mich ebenfalls zu einem Vampir machte, genau wie deinen Vater Amadeus. Nur so konnten meine Verletzungen, auch die seelischen, vollständig ausheilen«, sagte Friedrich.
Er erklärte mir das Ritual und ich begriff nun die ganz besondere Bindung, die ich zwischen meiner Mutter und Onkel Friedrich immer gespürt hatte und die mir durch ihre Aufzeichnungen in der Chronik noch einmal eindrücklich bewusst geworden war. Sie brauchte Friedrich, wie er sie brauchte, und so war es nur logisch, dass sie ihn ebenfalls zu einem Vampir machte.
»Wäre ich nur nie an die Front zurückgekehrt. Ich wusste ja, dass ich mich von nun an mit Blut am Leben halten musste, aber doch nicht so!«
Verzweiflung lag in Friedrichs Blick und Abscheu vor sich selbst, als ihn die Erinnerungen an den Großen Krieg überwältigten.
»Ich habe mich dafür gehasst, Amanda, das darfst du mir glauben, aber ich wollte überleben, ich wollte zu euch zurückkehren. Sie waren Todgeweihte, alle, ich habe ihr Leiden nur verkürzt und ihnen weitere Qualen erspart … Sie lagen glücklich in meinen Armen … während sie mir ihr Blut spendeten, spendete ich ihnen Trost.«
Das klang vielleicht für Menschenohren pervers, aber ich wusste, dass Friedrich die Wahrheit sprach. Auf diesem Acker des Todes hatte nicht er die Sense geführt.
»Verzeih mir, Amanda.«
»Ich habe dir nichts zu verzeihen«, flüsterte ich und erzählte ihm von dem kleinen, blonden Jungen am See. »Meine Schuld ist viel größer, Friedrich, denn ich habe ein unschuldiges Kind einzig und allein meinem Trieb geopfert.«
Friedrich schwieg. Vermutlich verurteilte er mich und wollte es nur nicht sagen.
»Amanda, deine Mutter ist von einem vampirischen Dämon besessen, Amadeus und ich wurden durch ihren Biss zu Vampiren, du aber bist als Vampirin geboren. Menschliche Skrupel, unser Rechtsempfinden haben für dich per se keine Geltung. Du kannst willentlich versuchen danach zu leben, aber Vampire sind keine Menschen, sie sind triebhafte Geschöpfe mit amoralischer Lebensweise, wenn man die Maßstäbe des Menschengeschlechts anlegt. Sie sind nicht kultiviert und zivilisiert, sie sind archaisch, und Blut ist nun mal ihr Lebenselixier. Wer es in sich trägt, ist ihre Beute. Wärest du ein Wolf, du würdest dir keine Gedanken darüber machen, ob es recht war, den Jungen zu töten.«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich konnte nicht alles, was Friedrich gesagt hatte, unwidersprochen hinnehmen.
»Aber Vampire sind keine Wölfe, sie sind überhaupt keine Tiere. Sie sind auch nicht unzivilisiert und kulturlos, wie du behauptest! Sie sind im Gegenteil von
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