Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
hoher Intelligenz und sie haben Lebensart. Sie haben die Gestalt von Menschen und sie haben Gefühle, sie können lieben … selbst ein Monster wie Graf Orlok hat Liebe empfunden …«
»Amanda, du sprichst von einem Film, von Literatur … Niemand von uns ist jemals einem Vampir begegnet. Wir selber sind Mischwesen, Halbblute … unser menschlichesVorleben klebt an uns wie eine zweite Haut … wir sind gespaltene Persönlichkeiten … haben vampirische Eigenschaften, aber eine menschliche Seele …«
»Die habe auch ich, denn wäre meine Mutter nicht noch zum Teil menschlich gewesen, hätte sie nie ein Kind bekommen können. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, vermehren sich Vampire ausschließlich durch den Biss und nicht durch Kinder.«
Ich schaute Friedrich in die Augen, die in der Dunkelheit bernsteinfarben leuchteten.
»Ich bin zwar von Geburt eine Vampirin, aber ebenso ein Mensch. Mein Trieb mag mächtiger sein als der deine, aber dennoch bin ich nicht frei von menschlichen Skrupeln, und darum schäme ich mich, dass ich den Jungen getötet habe.«
Friedrich zog mich an sich, strich über mein Haar und küsste mich auf die Stirn.
»Dafür liebe ich dich.«
Ich war froh, dass wir einmal über diese Dinge gesprochen hatten. Jeder von uns hatte also ein Gewissen, vor dem er sein Handeln rechtfertigen musste. Nichts wäre schlimmer, als wenn sich einer von uns als der bessere Vampir, der menschlichere oder der echtere gebärdet hätte. In unseren Grundbedürfnissen waren wir einander gleich, doch die Art und Weise, wie wir sie befriedigten, war ein Produkt unserer Erziehung, unserer Erfahrung und … ich glaube … unserer geistigen Reife. So ähnlich jedenfalls hatte Conrad mir das für die Menschen und ihre Triebe erklärt. Ich war jung und wild aufgewachsen, mir fehlte es an der verfeinerten Kultur, die Friedrich half, seine vampirische Natur zu bändigen, wo sie bei mir bereits unhaltbar durchbrach. So wie jetzt. Ich war kein Idealist, sondern – wie hatte Lenzes noch gleich genannt – Pragmatiker … ja, genau. Von Erkenntnissen alleine konnte man nicht leben.
»Friedrich, wenn wir in die Burg gehen, wissen wir nicht, was uns erwartet. Wir benötigen all unsere Kraft. Das heißt, wir müssen stark sein.«
Er verstand sofort, was ich meinte.
»Wir brauchen Nahrung.«
Beide schauten wir zum Tresen hinüber, wo schemenhaft der ruhende Fleischberg zu erkennen war. Ich sah Friedrich an, dass auch ihm der Gedanke zuwider war, sein knoblauchverseuchtes Blut zu schlürfen.
»Mir wird übel. Meine verfeinerten Geschmacksnerven halten das nicht aus«, versuchte ich zu scherzen.
»Haben wir denn eine andere Wahl?«
Ich schüttelte den Kopf.
»So muss es sein«, meinte Friedrich nun und stand auch schon auf. »Am besten tun wir es sofort.«
Er ging zum Fleischberg hinüber.
»Und wohin dann mit ihm?«, fragte ich. »Wir holen uns eine Rattenplage ins Haus, wenn wir ihn hier liegen lassen.«
»Wir schaffen ihn weg. Bei mir zumindest ist der Kraftzuwachs immens, wenn ich gespeist habe.«
Ich gab ihm recht, da ich über ähnliche Erfahrungen verfügte. Nur so war es mir zum Beispiel möglich gewesen, die ausgesaugten Pfleger in der Anstalt in Windeseile verschwinden zu lassen.
Also überwanden wir unseren Ekel. Friedrich öffnete ihm mit seiner Fingerkralle die Halsschlagader, und nachdem er den Wirt kraftvoll angesaugt hatte, stillte auch ich meinen Durst. Wie ich befürchtet hatte, war sein Blut bitter und lief in mich hinein wie ätzende Lauge. Aber seinen Nährwert schien es nicht verloren zu haben.
Gesättigt schafften wir ihn noch vor Tagesanbruch aus dem Haus und warfen ihn in den wild schäumenden Fluss, der hinten im Hof vorbeifloss und der wegen des Regens Hochwasser führte. Er riss ihn mit sich davon und würde ihn forttreiben, bis der Wirt irgendwo an einem Wehr oder im Ufergestrüpp hängen blieb, Algen ihn umschlangen und langsam hinabzogen, dahin, wo seinen Körper niemand mehr finden würde. Seine Seele, die hoffentlich schöner war als sein Leib, hatte sich bis dahin vielleicht sogar schon wieder mit der seiner Tochter im Jenseits vereinigt. Wir wünschten es ihm.
Einen Moment brach der fast volle Mond durch die Wolken und das Heulen der Wölfe hallte von den Bergen wider. Die nächste Wolke schob sich vor das Himmelslicht und in der Finsternis gingen wir Arm in Arm zurück. Es war, als hätten wir heute Brüderschaft getrunken.
»Wir werden es schaffen«, sagte Friedrich
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