Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
schlugen uns gierigzüngelnde Flammen entgegen. Es roch penetrant und den Atem blockierend nach Pech. Ich rannte panisch mit Friedrich zusammen den Turm weiter hinauf, um aus einer der oberen Schießscharten hinunter auf die Burgmauer zu schauen. Dort sahen wir, wie Utz einige seiner Negersklaven befehligte, die eimerweise Pech vor die Tür gossen, sodass das Feuer immer stärker aufloderte. Nur eine kleine Schneise an der Rückseite des Bergfrieds war noch nicht von den Flammen eingehüllt.
»Da müssen wir durch«, schrie Friedrich, »rasch, ehe uns dieser Weg auch noch abgeschnitten wird.« Wir stürzten zurück und erreichten tatsächlich den rückwärtigen Rand der Burgmauer. Dann aber schlugen die Flammen auch über diesem letzten Fluchtweg zusammen, und wir standen mit dem Rücken an dem steil abfallenden Mauerende, während vor uns ein glühendes Flammenmeer loderte, das uns fast vollständig einschloss. Zwar hatte Utz sich mit seiner List nun selber den Weg zu uns abgeschnitten, aber es konnte nicht lange dauern, bis er andere Mittel fand, uns an der Flucht zu hindern. Niemand wusste, wie weit es ihm gelungen war, sich die Dämonen der Burg untertan zu machen und sie für seine Zwecke einzuspannen. So war Eile geboten. Wir überlegten also, wer zuerst springen sollte, als Radke sich von Lenz losriss, um sich über die Mauer zu stürzen. Doch Friedrich erwischte ihn gerade noch an einem Zipfel seiner Kleidung und zerrte ihn zurück.
»Hiergeblieben!«, schrie er ihn an, aber Radke holte aus und hieb ihm mit plötzlich aus seinen Fingern wachsenden Krallen ins Gesicht. In dem nun folgenden Handgemenge zog er allerdings den Kürzeren, und als Friedrich ihm einen kräftigen Stoß gegen die Brust versetzte, taumelte er zurück und geradewegs hinein in die Flammen.
Während Friedrich mit dem Großvater und Lenz in den Armen die Mauer hinabsprang, stand ich wie gebannt neben meiner Mutter und erlebte Radkes grauenvollen Untergang.
Nachdem das Feuer ihm zunächst in Windeseile die Kleider vom Leib gefressen hatte, rannte er, nackt und unmenschlich schreiend in eine Flammensäule gehüllt, hinüber zum Bergfried, auf dessen Spitze er wenig später auftauchte und wie ein Fanal weithin sichtbar loderte. Unter unendlichen Qualen verging sein Körper Schicht um Schicht. Erst schälte die Haut sich blasig ab, dann verbrannten mit süßlichem Geruch die Muskeln bis auf die Knochen und schließlich verkohlte sein Skelett. Und in jedem dieser Zustände flehte er heulend um Gnade, bis die körperlosen Dämonen, die auf der Burg hausten, seine unsterbliche Seele in Fetzen rissen und er schließlich in einem Häufchen Asche verglühte, das von einer plötzlichen Windböe in alle Himmelsrichtungen verweht wurde.
Um den Turm kreisten wie Abgesandte aus dem Totenreich drei riesige Uhus mit mächtigen Schwingen und heiseren Schreien. Dann war es vorbei.
Der Himmel war nicht mehr schwarz, sondern von einem diffusen Grau, was den beginnenden Tag ankündigte. Wir mussten uns beeilen. Ich schaute von der Burgmauer zum Fuß der Burg hinunter, wo tief unten Friedrich mit Conrad und dem Großvater stand, er winkte und rief mir und meiner Mutter zu, ebenfalls zu springen.
Wir standen bereits absprungbereit zwischen einer Schießscharte auf der Mauerkrone, als meine Mutter zauderte. Sie sah zwar inzwischen viel besser aus, aber immer noch wirkte ihre Haut ungesund und faltig und ihren schönen Augen fehlte jeder Glanz. Meine Wunden, die Utz mirzugefügt hatten, waren hingegen bereits fast vollständig verheilt, nur die Narben auf meinem Bauch juckten, da wo er seinen Namen eingeritzt hatte.
»Was ist?«, fragte ich. »Wir sind starke Vampire, wir werden es schaffen. Friedrich hat den Sprung mit Lenz und dem Großvater auch heil überstanden.«
Estelle schüttelte den Kopf.
»Ich kann nicht … der Fluch … er bannt mich an diesen Ort. Solange noch einer vom Geschlecht der Przytuleks hier lebt, ist es mir unmöglich, die Burg zu verlassen. Ich kann nicht fliehen, ohne Utz zuvor getötet zu haben. Spring du, Amanda, rette dich. Ich werde hierbleiben und mein Schicksal vollenden.«
»Amanda?!«, ich hörte Friedrich rufen. »Ihr müsst euch beeilen, der Morgen naht!«
Beide starrten wir nach Osten, wo der Himmel sich erschreckend aufhellte. Vor uns rasten die Flammen heran und die Hitze begann unerträglich zu werden. In wenigen Augenblicken würden sie uns erreicht haben.
»Versuch es, Mutter«, flehte ich. »Bitte, spring!«
Weitere Kostenlose Bücher