Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Büschen ein riesiger Wolf brach und uns die Straße versperrte. Links und rechts tauchten schattenhaft weitere Wölfe seines Rudels auf.
Wir starrten zunächst fasziniert, dann doch beunruhigt auf das Schauspiel. Lenz verlangsamte die Fahrt und blieb schließlich etwa fünf Meter vor dem Wolf mit laufendem Motor stehen. Waren es echte Tiere oder von Utz auf uns gehetzte Dämonen? Immer noch war es eher dunkel, aber die Morgendämmerung zog unaufhaltsam mit ihrem diffusen Licht zwischen den Bergen der Hohen Tatra heran. Die Zeit lief uns davon, wie der Sand im Stundenglas des Todes.
»Was haben die vor? Was wollen die hier?«, fragte Lenz, vor lauter Respekt vor dem Leitwolf flüsternd.
»Uns«, wisperte Großvater Vanderborg, der, gerade aus der einen Ohnmacht erwacht, bereits wieder in die nächste zu sinken drohte.
»Wie werden wir sie wieder los?«, wollte ich von Friedrich wissen. Der schüttelte den Kopf.
»Gar nicht. Irgendwann, wenn ihnen die Gelegenheit günstig erscheint, werden sie uns stellen, bis dahin werden sie uns begleiten … hungrige, gierige Schatten … selten so sichtbar wie jetzt, aber dennoch immer da …«
»Sie sind mir unheimlich«, sagte nun auch ich flüsternd. Und starrte unbehaglich auf den Wolf, der nur wenige Meter vor uns immer noch auf der Straße stand. Ein mächtiges Tier mit pechschwarzem Fell und bernsteingelben Augen, die regelrecht von innen heraus zu leuchten schienen. Fast hätte man meinen können, Utz wäre in die Gestalt eines Wolfes geschlüpft, um uns zu jagen. Aber das war natürlich Unsinn. Vampire sind keine Gestaltwandler, sie können sich nicht in andere Lebewesen verwandeln.
»Das können sie doch nicht, Friedrich, oder?«
»Nein, keine Sorge, das kann Utz nicht. Dies sind ganz normale Karpatenwölfe. Es gibt hier viele Rudel und siesind in Polen und Russland in diesem Jahr nach dem kalten Winter eine wirkliche Plage. Ich las es, als ich mich auf unsere Reise vorbereitete …«
»Aber was tun wir nun?«, fragte Conrad. »Weiterfahren? Ich kann hier nicht ewig stehen bleiben, sonst habe ich das Tier gleich an der Windschutzscheibe kleben.«
»Fahr«, sagte Friedrich. »Es gibt keine andere Wahl. Wenn der Leitwolf das Auto kommen sieht, wird er ausweichen und zurück ins Unterholz springen.
Er dachte nicht daran! Lenz fuhr mit durchgetretenem Gaspedal auf den Wolf zu, als das Tier mit einem gewaltigen Satz direkt auf die Motorhaube sprang. Der riesige schwarze Körper rutschte gegen die Windschutzscheibe, die hörbar knackte und von einem langen Riss durchzogen wurde, uns aber wenigstens nicht um die Ohren flog.
Hatte Conrad es nicht vorhergesehen, warum fuhr er dann trotzdem so riskant?
»Was sollte ich denn sonst tun?«, schnaubte er ärgerlich und versuchte in Schlangenlinien zu fahren, um den lästigen Beifahrer wieder loszuwerden. Mehrmals riss der laut knurrend seinen Fang auf und fletschte sein beeindruckendes Gebiss, mit dem niemand von uns in Berührung kommen wollte. Hinter uns heulte das Rudel.
Schließlich hatte Lenz es geschafft, er fuhr eine scharfe Kurve und trat dann abrupt auf die Bremse, wodurch der Wolf tatsächlich von der Motorhaube katapultiert wurde und aufjaulend im Gebüsch landete. Ohne das geringste Zögern raste Lenz weiter, während Großvater Vanderborg darüber dozierte, wie gefährlich Wölfe seien.
»Sie jagen in Rudeln, und wen sie einmal als Beute ausgewählt haben, der hat kaum eine Chance, ihnen zu entkommen.«
»Das klingt sehr aufbauend, Großvater«, meinte ich zynisch.
Er räusperte sich verlegen und erklärte abschwächend: »Das gilt natürlich nicht für uns. Wir haben ja das Automobil. Dem sind sie nicht gewachsen. Wir können sie erschöpfen und sitzen geschützt. Aber bei den Kutschen fielen sie die Pferde an und den Kutscher auf dem Bock. Friedrich hat recht, die Gegend hier ist voll von ihnen. Man warnte mich bereits bei der ersten Reise.«
»Und wie schützen wir uns, falls sie uns doch angreifen?«
Friedrich griff unter die Rücksitzbank und zog ein Gewehr darunter hervor.
»Damit blasen wir ihnen das Licht aus«, sagte er zuversichtlich. »Ich wollte schon immer ein Wolfsfell als Bettvorleger haben.«
Kurz vor Tagesanbruch, der Himmel war bereits schwefelgelb gefärbt, erreichten wir in letzter Minute eine alte Poststation und bezogen dort für den Tag drei Zimmer. Das verwunderte den Verwalter zwar etwas, aber erst als wir am Abend aufbrechen wollten, meinte er, dass wir doch besser bei
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