Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Helligkeit reisen sollten.
    »Man hat in der Gegend ein großes Wolfsrudel gesehen, es ist nicht sicher im Dunkeln.«
    Wir dankten ihm für diese Information und den Ratschlag, fuhren aber dennoch weiter. Wir hatten ja keine andere Wahl.
    Friedrich war von seinem Schmerz um Estelle durch die aktuelle Bedrohung etwas abgelenkt, aber Großvater Vanderborg litt schwer unter dem endgültigen Verlust seiner Tochter. Hinzu kamen die Nachwirkungen der Herzattacke, die ihn auf der Burg von Przytulek ereilt hatte. Zwar bemühte er sich, den Tod von Estelle zu akzeptieren, aberimmer wieder wollte er Einzelheiten von mir wissen, um ihn dann doch stets neu infrage zu stellen. An meinen Schmerz, an den er damit ständig quälend rührte, dachte er dabei natürlich nicht.
    »Ja, sie ist tot, ja, es tut mir leid, Großvater«, antwortete ich schließlich am Rande meiner Kraft nur noch gebetsmühlenartig, »ja, sie ist vor meinen Augen in Rauch aufgegangen … sie wollte es selber so … und nun ist sie erlöst.«
     
    Nach zwei weiteren Tagen zerrten unsere unsichtbaren Begleiter, die wir nur noch ganz selten, und wenn, dann als huschende Schatten, zu Gesicht bekamen, deren Heulen uns aber jede Nacht umgab, gewaltig an unseren Nerven.
    Wer oder was hatte sie auf unsere Fährte gesetzt? Warum verfolgten sie uns so zäh und zielstrebig? Es war doch kein Zufall, dass sie sich uns seit Przytulek so beharrlich an die Fersen hefteten.
    Friedrich schien das ständige Heulen auf das Gehirn zu schlagen, denn er ließ sich zu aberwitzigen Spekulationen hinreißen.
    »Sie haben Weisung«, sagte er leise zu mir, um Großvater Vanderborg und Lenz nicht noch weiter zu verunsichern. »Utz hat sie auf uns gehetzt. Sie sind Geschöpfe des Bösen!«
    »Ach was«, fiel ich ihm flüsternd ins Wort. »Utz ist nicht allmächtig!«
    Friedrich zuckte die Schultern und sagte mit leicht sarkastischem Lächeln: »Na, wenn du meinst. Aber auch normale Wölfe sind nicht das, was ich mir im Moment wünsche. Das Einzige, was ich möchte, ist, in die Zivilisation zurückzukehren.«
    Die jedoch war noch weit entfernt.
    Wir schlichen immer noch im Dunklen auf abenteuerlichen Bergstraßen, die Karl May im »Wilden Kurdistan« Freude gemacht hätten, zu Tale. Hinter uns die meistens wolkenverhangenen Gipfel der Hohen Tatra und neben uns schroff abfallende Steilhänge. Hätte Lenz nur einen Hauch von Höhenangst gehabt, wären wir längst zerschmettert in einer düsteren Senke gelandet. Hatte er aber erfreulicherweise nicht, sondern er lenkte das Automobil mit kühlem Kopf über die schwierigsten Strecken. Oft war der Weg zudem noch durch Geröll und Erdlawinen oder Steinschläge versperrt, welche die heftigen Frühjahrsregen ausgelöst hatten. Dann hieß es anhalten, aussteigen, beiseiteräumen … und dabei stets das Gewehr im Anschlag haben, falls die Wölfe sich eine solche unfreiwillige Unterbrechung zunutze machen wollten, um über uns herzufallen. Einen ersten derartigen Versuch konnten wir im Keim ersticken, weil ich bei meinem Warnschuss ins Blaue zufällig ein großes Tier traf und Lenz mit Geschick das Fahrzeug an der nur teilweise frei geräumten Engstelle vorbeisteuern konnte. Mir war, als hinge dabei zeitweilig mindestens ein Rad über einem entsetzlich schroffen Abhang in der Luft. Respekt, dachte ich, das hatte ich dem Herrn Stubengelehrten gar nicht zugetraut.
    Überhaupt hatte ich ihm so einiges nicht zugetraut, insbesondere nicht, dass er es rechtzeitig zu unserer Befreiung in die Burg schaffen würde.
    »Das war weniger schwierig als gedacht«, meinte er jedoch, als ich darauf zu sprechen kam. »Wir fanden recht bald einen Gesindeeingang, der zur alten Schlossküche führte. Von da folgten wir den Mägden zum Bankettsaal. Wir waren kaum dabei, die Lage zu sondieren, als ich deinen Großvater sein ›Apagé Satanas‹ schmettern hörte. Daswar für uns das Signal zum Eingreifen, und so zögerten wir nicht lange und stürmten den Saal.«
    »Keine Minute zu früh«, sagte Friedrich, und Lenz drehte sich nach hinten, um mir über die Schulter einen liebevollen Blick zuzuwerfen.
    Sekunden später fuhr er das Auto mitten in eine Gerölllawine hinein. Es krachte und knirschte gehörig, und der Aufprall warf mich mit gewaltiger Kraft auf der Rückbank erst vor und dann zurück, sodass ich dachte, mir würde der Kopf wegfliegen. Jedoch hatten wir die Sache besser überstanden als das Auto.
    »Das wird teuer«, murmelte der Großvater, was mir aber