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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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waren wir zwar gerettet, aber unsere missliche Lage bestand fort. Die Straße war blockiert und wir waren von Wölfen umzingelt.
    Mit schwefelgelben Wolken zog zudem der Morgen herauf, und zu meinem Entsetzen sah ich, wie der tot geglaubte schwarze Leitwolf sich wieder erhob, seine Glieder kurz schüttelte, das Fell sträubte und dann fürchterlich wehklagend aufheulte. Das Vieh musste sieben Leben haben …
    »Wie du«, sagte Friedrich. »Wie geht es dir?«
    »Gut«, antwortete ich und fügte flüsternd hinzu, damit der Großvater mich nicht hörte: »Der Schusskanal dürfte bereits wieder zugeheilt sein.«
    Großvater Vanderborg starrte mich verwirrt an. Offenbar hatte er lange Ohren, aber das war nun auch egal, sollte er denken, was er wollte.
    »Hast du so im Krieg überlebt?«, fragte ich Friedrich leise. Er nickte. »Ich hätte viele Tode sterben können.«
    Lenz war kaum noch bei Bewusstsein. Die riesige Fleischwunde an seinem Oberschenkel blutete heftig. Zerfetzte Sehnen und Muskelfasern hingen aus der zerrissenen Hose, und aus einer verletzten Ader sprudelte das Blut mit großem Druck. Sein Gesicht war schon ganz blass, bald würde er tot sein, wenn wir die Blutung nicht zum Stillstand bringen konnten. Die Versuchung, mich mit seinem Blut zu stärken, wenn er ohnehin sterben musste, stieg plötzlich unwiderstehlich in mir auf und flüsterte mir zu: Er ist ohnehin verloren, darum rette dich!
    Wie gut konnte ich Friedrich plötzlich verstehen … es war doch ein ganz natürliches Verlangen … ein Ausleseprozess … das Schwache unterlag und rettete das Starke …
    Ganz plötzlich wurde mir übel von meinen eigenen Gedanken, und es war die gegen das Automobil anrennende Wolfsmeute, die mir das Niedrige und Animalische in ihnen bewusst werden ließ.
    Conrad hatte mir nur Gutes getan und er liebte mich …
    Und als ich ihn nun noch einmal ansah, sein totenblasses Gesicht in meinen Schoß gebettet, da befiel mich plötzlich eine unsagbare Angst davor, dass er sterben könnte.
    Das durfte nicht sein! Er war doch zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden, ein ruhender Pol, ein liebevoller, umsichtiger Begleiter, auf den ich immer bauen konnte … er war mein einziger Freund in der Klinik gewesen … nur ihm hatte ich meine Freiheit zu verdanken, er hatte für mich gebürgt … er hatte mir vertraut und die Hoffnung, dass ich zu retten war, nie aufgegeben … Also musste auch er zu retten sein … es war ganz unmöglich, dass er sterben sollte … Ich wollte ihn nicht verlieren! Um keinen Preis!
    »Was, was kann ich tun, Friedrich?«, stammelte ich gelähmt von meiner plötzlichen Hilflosigkeit. »Er, er stirbt mir unter den Händen!«
    »Blut«, sagte Friedrich nun ohne jede Rücksicht auf seinen ebenfalls erbleichten Vater. »Es hat Heilkraft. Nimm dein Blut und benetze damit seine Wunde. Zuerst die große Ader.«
    Er klappte sein Messer aus und reichte es mir.
    »Aber mache ich ihn dann nicht zu einem Vampir?«
    Friedrich schüttelte den Kopf. »Das kann nur geschehen, wenn er dein Blut trinkt. Ich glaube nicht, dass das bei dieser Art Verletzung nötig ist. Sie sollte durch äußere Anwendung geheilt werden können.«
    Und so führte ich, ohne zu zögern, den Schnitt über meinen Unterarm, bis ich eine dunkle blaue Ader traf, ausder sogleich dickflüssig und schwarz das Blut quoll. Ich tat damit, wie Friedrich mich geheißen hatte, und sobald die ersten Tropfen auf die Ader in Conrads Oberschenkel trafen, begann sie sich unter Zischen und Brodeln zu schließen, so als hätte mein Blut sich in Säure verwandelt. Wenig später war die Blutung gestillt. Ich beträufelte Sehnen und Muskeln und auch hier trat sogleich eine Besserung ein. Vermutlich hatte Friedrich im Krieg, sooft er konnte, seinen Kameraden ebenso geholfen. Aber in diesem Großen Krieg gab es einfach zu viele Verwundete mit zu schlimmen Verletzungen, als dass ein Einzelner die Zahl der Opfer hätte nennenswert verkleinern können. Wie furchtbar musste es daher für ihn gewesen sein, zu wissen, dass man helfen konnte, aber niemals allen. Half er dem einen, musste der andere sterben … Ich hätte nicht in seiner Situation sein mögen … so als Herr über Leben und Tod der Kameraden … Ich wäre wahnsinnig geworden in diesem Konflikt, in dem ich ein Leben wichtiger als ein anderes hätte einstufen müssen …
    »Es tut mir leid, Friedrich«, sagte ich, »ich habe nicht im Geringsten geahnt, was der Krieg dir abverlangte, nun kann ich es

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