Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
mitempfinden.«
Er verstand sofort und akzeptierte auch meine Entschuldigung. »Lenz wird überleben«, sagte er tröstend. »Er verfügt über einen starken Körper und einen festen Willen.«
Ich hoffte so sehr, dass er recht hatte.
W
ir entkamen den Wölfen.
Auch sie scheuten das Tageslicht, und nachdem sie mehrmals vergebens gegen das Auto angerannt waren, zogen sie sich in den Schutz des Waldes zurück. Das war unser Glück, denn lange hätte das Gefährt ihrer geballtenKraft nicht mehr standgehalten, obwohl es für ein Automobil schon ziemlich stabil gebaut war. Wären wir im Wagen von Lenz unterwegs gewesen, hätten die Wölfe ihn gewiss längst in seine Einzelteile zerlegt. Aber auch so hing neben Conrads auch Friedrichs und mein Leben an einem seidenen Faden. Denn wieder einmal nahte der Morgen unaufhaltsam und wir waren erneut Meilen von einem sicheren Unterschlupf entfernt. Die Gegend war einfach zu abgelegen und kaum bewohnt, die Wege unwegsam und deshalb die Reisezeit schwer zu kalkulieren.
Es war daher eine außerordentlich glückliche Fügung, dass eine dunkle Wetterfront mit nachtschwarzen Wolken plötzlich den Himmel verfinsterte und das Automobil trotz des demolierten Kotflügels fahrtüchtig geblieben war. So konnten wir einen Umweg abseits der Hauptroute fahren und retteten uns nach dieser holprigen Marterstrecke mit nur wenigen Brandblasen auf der Haut in ein Gasthaus, das in letzter Minute am Wegesrand auftauchte.
Es war sehr einsam gelegen und beherbergte lediglich ein paar Naturfreunde, die in den Bergen wandern wollten. Nur zu, dachte ich sarkastisch, die Wölfe der Gegend lecken sich sicherlich schon die Lefzen.
Ich war völlig erledigt und zitterte am ganzen Körper, als ich die Herberge betrat. »Noch ein weiteres Mal halte ich das nicht durch, Friedrich!«, stöhnte ich und betrachtete die Brandblasen auf meinem Arm, als würden sie nicht zu mir gehören, denn Schmerz oder überhaupt etwas zu empfinden war mir in meinem Erschöpfungszustand nicht mehr möglich.
Apathisch überließ ich dem Großvater und Friedrich das Gespräch mit dem Herbergsvater.
Es waren nur noch zwei Zimmer frei, aber als wir vondem Überfall berichteten, war die Hilfsbereitschaft groß, und man brachte Wasser, Tücher und Verbandsmaterial, um Conrads Wunde zu versorgen. Langsam kam auch ich angesichts der lebhaften Geschäftigkeit wieder zu mir und legte mit Hand an. Anschließend trug man Conrad in eins der Zimmer hinauf und ich entschied mich, als Krankenwache zu bleiben. Bei geschlossenen Fensterläden und einem mild flackernden Gaslicht legte ich mich neben ihn auf das Bett, hielt seine Hand und lauschte seinem nun wieder regelmäßigen Atem. Als ich nach einigen Stunden den Verband wechselte und erneut mein Blut in die Wunde tropfen ließ, begannen auch Sehnen und zerrissene Muskeln endgültig zusammenzuwachsen.
Friedrich, der nach uns sah, freute sich über diese gute Nachricht. Es war selbstverständlich, dass ich weiter bei Conrad blieb und er sich mit dem Großvater das andere Zimmer teilte.
Immer wieder träufelte ich mein schwarzes Blut in die Wunde und sah zu, wie danach der Heilungsprozess stets beschleunigt fortschritt. Conrad merkte von alldem nichts, denn er lag durch eine hohe Dosis Morphium, die Friedrich in seiner Reisetasche gefunden und ihm injiziert hatte, in Morpheus’ Armen.
Es war ein eigenartiges Gefühl, ihn so gänzlich entspannt zu sehen, die Augen geschlossen, den Mund leicht zu röchelndem Atmen geöffnet. Er hatte Bartstoppeln an Kinn und Wangen, und das füllige dunkle Haar, das er sonst aus der Stirn zurückgekämmt trug, fiel ihm in feuchten Strähnen ins Gesicht. Mir war nie aufgefallen, dass er trotz seines sanften Charakters recht kantige Gesichtszüge hatte, markante Wangenknochen und ein energisches Kinn.
Ich zog ihm das Jackett aus und öffnete sein Oberhemd.Er war darunter nackt und auf der Brust wuchsen dunkle Haare. Kein Urwald, aber genügend und kräftig genug, um zu erkennen, dass er kein Jüngling mehr war, sondern ein Mann. Seine Brustmuskeln waren erstaunlich kräftig, überhaupt war er sehr gut gebaut für jemanden, der die meiste Zeit auf einem Stuhl neben der Couch seiner Patienten hockte und einzig und allein durch deren Seelenleben wanderte, anstatt sich den Herausforderungen der Natur zu stellen oder wenigstens in einem der zahlreichen Vereine für Freikörperkultur seinen Leib zu stählen.
Ich verbot meinem Blick, weiter auf seinem Körper
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