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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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würde, desto mehr fürchtete ich, dass nicht Amadeus, sondern Utz sein Vater war und es nicht die Stunde des Glücks, sondern die der Gewalt und Schande war, der es seine Existenz verdankte. Und weil mich dieser Gedanke mit Grauen erfüllte, lag ich wie gelähmt und verspürte, trotz der in immer neuen Wellen durch meinen Unterleib jagenden Schmerzen, nicht den geringsten Drang, das unheimliche Wesen in mir aus meinem Leib zu pressen. Mein passives Verhalten trieb die Hebamme und auch Gertrud schier zur Verzweiflung.
    »Du musst pressen, Estelle«, redete mir Gertrud immer und immer wieder zu. »Dein Kind stirbt im Mutterleib, wenn es nicht beizeiten herauskommt. Du hast kein Fruchtwasser mehr und es stranguliert sich vielleicht mit der Nabelschnur und erstickt, wenn du es nicht herauspresst.«
    Ich verstand nicht, wovon sie sprach, nicht weil ich zu dumm war, um es zu begreifen, sondern weil ich nicht mehr in der Lage war, überhaupt noch etwas aufzunehmen außer dem immer und immer wieder anrollenden glühenden Schmerz, der mich fast so zerriss wie der Pfahl des Grafen von Przytulek, auf dem ich mein junges Leben gelassen hatte. Und weil mich die Erinnerung an meinen Foltertod so lebhaft überkam, wie seit Langem nicht mehr, war ich mir plötzlich sicher, dass ich die Geburt nicht überleben würde. Es konnte gar nicht anders sein. Eine Vampirin, die ein Kind von einem Menschen gebar, war etwas völlig Unnatürliches, Unvorstellbares, und das Kind, das sie gebären würde, konnte nur ein Monster sein. Und weil das die Natur nie zulassen würde, waren wir beide, ich und die Frucht meines Leibes, verdammt, jetzt und hier zu sterben.
    Ich fiel in eine todesähnliche geistige Starre, während Gertrud und die Hebamme sich um meinen Körperkümmerten. Ganz plötzlich spürte ich keinen Schmerz mehr, sondern nur noch eine Kälte, die von den Füßen aufwärts in meinem Körper hochkroch.
    »O mein Gott, sie verblutet uns, sie ist schon ganz kalt und blau«, hörte ich noch Gertrud wie von Ferne schreien, dann schwanden mir die Sinne.

    Ich erwachte in einem Traum. Amadeus war bei mir, er hielt meine Hand und streichelte meine Wange. Doch es war kein Traum.
    Der Kaiser selbst hatte aus Sorge über die politischen Folgen des Vernichtungsbefehls in der Weltöffentlichkeit von Trotha nach Deutschland zurückbeordert und eine Amnestie erlassen, die alle freisetzte, die den Völkermord hatten verhindern wollen. Amadeus war rehabilitiert und er war bei mir.
    Er tupfte mir mit einem Tuch den kalten Schweiß von der Stirn und redete beruhigend auf mich ein. Da ich nichts fühlte, dachte ich immer noch, ich würde träumen, aber als die Hebamme hereinkam, merkte ich, dass ich in der rauen Wirklichkeit war und noch immer nicht entbunden hatte, und an den Gesichtern von Gertrud und der Hebamme sah ich, dass sie die Hoffnung aufgegeben hatten, das Kind noch lebend aus mir herauszubringen.
    Gertrud liefen die Tränen über die Wangen, als sie sagte: »Dabei sieht man doch schon das Köpfchen, die Haare … wenn du doch nur ein wenig pressen könntest …«
    Ich aber schwamm in meinem Blute und nichts konnte den Blutfluss stillen. Die Hebamme und selbst der Arzt, den Gertrud hatte holen lassen, waren ratlos, und so lag ich da und fühlte, wie das Leben aus mir hinausfloss. Ich haderte nicht mehr mit meinem Geschick, denn ich begriff,dass ich nun doch an dem Punkt angekommen war, wo mein Dasein endlich endete und die Erlösung nahte.
    Ein Kind zu gebären war für eine Vampirin ganz offensichtlich mit dem eigenen Tod verbunden, und weil es mir wie ein Naturgesetz vorkam, war ich bereit mein Schicksal klaglos anzunehmen.
    So wurde ich schwächer und schwächer.
    »Sie stirbt uns«, sagte der Doktor. »Sie hat kaum noch Blut in sich.«
    »Lassen wir sie schlafen«, sagte die Hebamme. »Vielleicht ist schon morgen ihre Qual vorbei.« Sie drehte die Lampe herunter und zog den Vorhang vor das Bett.
    Ich war so kraftlos, dass ich nicht einmal mehr meinen Arm heben oder den Kopf drehen konnte. So ging Gertrud verzagt mit der Hebamme hinaus, um mich und das immer noch in meinem Leib steckende Kind in Amadeus’ Armen in Frieden sterben zu lassen.
    Es war nun der Moment gekommen, in dem ich Amadeus gestehen musste, dass es kein Mensch war, dem er seine Liebe geschenkt hatte. Er sollte wissen, dass uns das Schicksal niemals die Chance geben wollte, eine ganz normale glückliche Familie zu werden, und so erzählte ich ihm mit flüsternder, fast

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