Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
versagender Stimme die Wahrheit über mich.
»Ich lebe nur durch Menschenblut, und der Blutverlust durch die Geburt wird mich in kürzester Zeit so altern lassen, dass ich alle meine Kraft verliere und ganz sicher sterbe. Es kann nicht sein, dass eine Vampirin das Kind eines Menschen gebiert, und darum ist mein Schicksal und das meines Kindes besiegelt.« Aber Amadeus wollte nicht wahrhaben, dass unser Kind mich das Leben kosten sollte.
Mein Geständnis warf ihn zwar zunächst nieder, doch als er verzweifelt meine bleichen Lippen küsste, da machte er mir in seiner unendlichen Liebe ein selbstloses Angebot: »Küss, mich, Estelle!«, flehte er. »Gib mir den Todeskuss. Beiß mich und trink mein Blut, damit du weiterleben kannst. Du musst es tun, für unser Kind und für mich. Ohne dich bin ich ohnehin verloren!«
Ich wies das Angebot weit von mir, weil ich dieses Opfer nicht annehmen konnte. Anders als bei Friedrich hatte meine Liebe zu ihm stets mein Verlangen nach seinem Blut besiegt und ich wollte es nicht wahrhaben, dass nun alle Enthaltsamkeit vergebens gewesen sein sollte. Aber da ich schließlich seinem ehrlichen Flehen nicht widerstehen konnte, biss ich ihn mit letzter Kraft in seinen schönen Hals, an dem ich so oft, meine wilde, vampirische Gier zügelnd, gelegen hatte, trank sein kostbares Blut und überlebte.
Er jedoch sank sterbend in meine Arme.
Unvermittelt tauchte das Gesicht der alten, weisen Zigeunerin Romina vor meinem inneren Auge auf und ich hörte ihre Stimme aus der Vergangenheit, als stünde sie unmittelbar neben mir.
Sie hatte mir damals alles erzählt, was sie über Vampire wusste, ihr Naturell, ihre Lebensweise und insbesondere ihre Fortpflanzung und Vermehrung. Schaurige und unheimliche Dinge waren es, die sie zu berichten wusste.
»So gibt es also noch andere von meiner Art?«, hatte ich sie schaudernd gefragt und Romina hatte genickt.
»Mehr als uns lieb ist. Sie hausen in Grüften und schlafen in Särgen und fallen in Rotten über die Menschen her, um ihnen ihr Blut abzusaugen. Ihre Zähne werden in der Nacht spitz und scharf und sie beißen damit ihren Opfern in den Hals, da,wo die große Ader das meiste Blut führt. Sie saugen sie aus und lassen sie als blutleere Hülle tot zurück.«
»Warum sind es denn so viele? Wie vermehren sie sich?«
Romina zuckte die mageren Schultern. »Du begehrst sehr viel zu wissen, mein Kind, mehr, als ich selber weiß. Sie sind eine geheime, dunkle Zunft, von welcher die Menschen nur bruchstückhaft Kenntnis erlangen, denn wer sich in ihre Nähe begibt, ist sehr schnell des Todes.«
»Aber sie müssen sich doch irgendwie fortpflanzen, sonst wären sie doch nicht so viele? Heiraten sie untereinander? Kriegen Vampirfrauen Kinder?«
Nun wollte ich alles erfahren, denn wenn ich verdammt war, bis in alle Ewigkeit als Vampirin mein Dasein zu fristen, so wollte ich wissen, was mich erwartete.
»Ob Vampire Kinder bekommen können, weiß ich nicht«, hatte sie gesagt, »sie können jedoch ausgewählte Menschen zu Vampiren machen, indem sie diese beißen und sie zugleich Blut trinken lassen, welches durch den Körper eines Vampirs geflossen ist.«
»Du meinst, wenn ich dich jetzt beißen würde und du trinkst von meinem Blut, wirst auch du zum Vampir?«
Sie lachte und zeigte dabei ihre verrotteten schwarzen Zahnstümpfe. »So sagt man, aber das lassen wir besser sein, mein Kind. Ich bin zufrieden mit dem Leben, das ich habe.«
So plötzlich wie Rominas Gesicht aus meiner Erinnerung aufgetaucht war, verschwamm es auch schon wieder, doch ihre Botschaft war bei mir angekommen. Wenn ich Amadeus nicht für immer verlieren wollte, blieb nur eins: Ich musste ihn zum Vampir machen. Und weil es nur diese Möglichkeit gab, riss ich mir in einem letzten Akt der Verzweiflung selbst die Pulsader am Handgelenk auf und presste Amadeus die blutende Wunde so lange auf dieLippen, bis er mein Blut erst zögernd, dann immer begieriger aufnahm. Und so wie Romina es geschildert hatte, kehrte das Leben tatsächlich in ihn zurück. Er war gerettet. Aber um welchen Preis? Würde er mir je verzeihen, dass ich ihn in die Finsternis meiner Welt geholt und zum ewigen Leben eines Ausgestoßenen verdammt hatte?
Inzwischen pulsierte das Blut von Amadeus vitalisierend durch meine Adern und gab mir mehr und mehr Energie zurück. Auch der Biss an meinem Handgelenk begann sich zu schließen. Glücklich, gemeinsam überlebt zu haben, küssten wir uns in gegenseitiger Dankbarkeit
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