Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
zu bieten hatte, doch auch von einer Wildheit der Seele und großer Willensstärke. Wenn ihr etwas nicht auf Anhieb gelang, so geriet sie darüber oft so heftig in Zorn, dass sie mit ihren Wutausbrüchen das halbe Haus zusammenschrie und kaum jemand sie beruhigen konnte. Nur Amadeus fand dann einen Zugang zu ihr, lenkte ihr Interesse gekonnt auf etwas anderes und ließ sie dort den Erfolg haben, der ihr zuvor versagt geblieben war, sodass sie ihre Niederlage schließlich verkraftete. Aber sie gab dennoch nie auf. Oft genug sah ich sie Tage später noch einmal versuchen, was ihr misslungen war, und sich so lange und geduldig, ja geradezu verbissen mit der Lösung ihres Problems beschäftigen, dass es mich ehrlich erstaunte, mit welcher Ausdauer und Energie ein so kleines Mädchen zu Werke gehen konnte.
Ich war sehr bald wie auch alle anderen im Hause fasziniert von ihrer Ausstrahlung. Sie hatte lockiges, blondes Haar, eine kräftige, gesunde Statur und strahlende blaue Augen, die jeden in ihren Bann zogen, den sie mit der ihr eigentümlichen, ganz besonderen Intensität anschaute.
So machte es mir Freude, sie ein wenig zu unterrichten, ihr Gedichte vorzulesen und Lieder mit ihr zu singen, während Amadeus sie vor sich in den Sattel setzte und mit ihr über das Gut ritt, um ihr die Natur nahezubringen. Der Blumen- und Kräutergarten am Haus war bald ihrliebster Aufenthaltsort und sie kannte schon als Vierjährige die Namen aller dort wachsenden Blumen auswendig. Auch die Hühner und Kaninchen hatten es ihr angetan und es gab kein verirrtes Katzenjunges, das sie nicht angeschleppt hätte. Der Hund liebte sie über alles, und weil er ihr wie ein treuer Wächter stets hinterherlief, machte ich mir wenig Sorgen um sie, wenn sie auf dem Gutshof mit ihm zusammen herumstromerte, was vielleicht ein Fehler war, weil sie dadurch doch eher wie ein Wildfang heranwuchs denn wie ein feines Bürgertöchterlein.
Aber außer Hansmann und Gertrud bei ihren gelegentlichen Besuchen nahm niemand daran Anstoß, und so schien das Glück unserer kleinen Familie auf Blankensee perfekt zu sein.
Nur manchmal, wenn Amadeus Dienst in der Garnison tat und ich alleine am See saß und dem Glitzern des Mondlichts auf den Wellen zuschaute, kamen wieder die bitteren Zweifel in mir hoch und ich fürchtete, dass ich in einem Glashaus saß, das beim ersten Steinwurf zersplittern und in sich zusammenfallen würde.
Wenn Utz zurückkäme und Ansprüche auf Amanda erheben würde, wäre alles vorbei, denn ich konnte sie ihm nicht verweigern. Sie war ehelich geboren und niemand – nicht einmal ich – konnte beweisen, dass Utz nicht ihr Vater war.
Eines Abends packte ich erneut eine Bücherkiste für meine Bibliothek aus, die Friedrich bei einer Nachlassversteigerung für mich erworben hatte, und stieß dabei auf ein sehr interessantes Buch über Magie und andere seltsame Phänomene. Es schien sehr alt zu sein und war recht zerlesen, zog mich aber sofort in seinen Bann, denn es enthielt ein mehrseitiges Kapitel über … Vampire. Ich staubte esein wenig ab und setzte mich dann an meinen Sekretär, um darin zu blättern. Nach ein paar einleitenden Sätzen über das unheimliche Wesen der Vampire wurde ihre Geschichte von den Anfängen in Transsylvanien bis ins 18. Jahrhundert erzählt, und wundersamerweise stand auch etwas über den Fluch darin, der die Familie der Grafen von Przytulek verfolgte. Als ich das las, schien mir auch alles andere in diesem Kapitel seriös und glaubhaft und endlich fand ich eine Erklärung dafür, warum Amadeus noch immer kein wirklicher Vampir war.
Wird ein Mensch von einem Vampir gebissen und trinkt sogleich von dessen Blut, so gehen sofort einige Eigenschaften des Vampirs auf ihn über. Aber bevor er nicht selbst einen Menschen gebissen und eine vollständige Blutmahlzeit gehalten hat, wird er weiter altern und noch nicht wirklich über alle vampirischen Fähigkeiten verfügen.
Ich hörte Schritte im Flur, schloss eilig das Buch und verwahrte es sicher in der Schublade meines Sekretärs.
Wenn das zutraf, was ich gelesen hatte, dann war Amadeus offenbar erst zu einem kleinen Teil ein Vampir, einem so kleinen Teil, dass ihm nicht einmal selbst eine Veränderung an sich auffiel. Als es klopfte und er zu mir in mein Studierzimmer trat, wirkte er so vital und mit den kleinen Lachfalten um die Augen so charmant, dass ich darüber allerdings kein bisschen traurig sein konnte. Ich hatte Zeit zu warten, denn mir und ihm gehörte die
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