Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
heraus und überreichte mir einen größeren Betrag, mit dem ich gewiss fürs Erste gut auskommen würde. Ich stieg noch einmal in die Kutsche und flüsterte Vanderborg zu, dass er Friedrich umgehend über meinen Verbleib informieren solle. Wenn er das tat, dann würde Friedrich ganz sicher sofort Amadeus unterrichten, und ich war mir sicher, dass einer von beiden mir noch in dieser Nacht Gesellschaft leisten würde.
Es war Amadeus.
Er hatte spät am Abend sein Pferd gesattelt und war in gestrecktem Galopp von Berlin nach Blankensee geritten, und obwohl er schon zum Morgengrauen wieder in der Garnison sein musste, waren die wenigen Stunden, die wir miteinander verbringen konnten, überglänzt von derGewissheit, dass wir uns auf Blankensee – während Utz in Afrika weilte – ein wunderbares Liebesnest einrichten würden, in dem wir endlich den Becher des Glücks bis zur Neige austrinken könnten, an dem wir bisher nur zögerlich gekostet hatten.
Wir hatten ein Feuer im Kamin entzündet und lagen auf einer warmen, weichen Decke, die ich aus meinem Schlafzimmer bei Utz mitgenommen hatte. Das knisternde Feuer vertrieb die klamme Kälte aus dem Raum und der Widerschein an den Wänden erzeugte eine überaus romantische Stimmung. So war die Liebe heute zärtlich und sanft, und wir gingen miteinander um, als wären wir einander unendlich kostbar. Und das waren wir ja auch. Jede Berührung, jeder Kuss erwies sich als eine neue Form der Seligkeit.
»Ich liebe dich, Estelle, ich kann ohne dich nicht mehr sein, und wenn es nicht anders geht, bringe ich den Utz um!«, stöhnte Amadeus, als die Zeit des Abschieds nahte.
Ich fand das gar nicht witzig. »Sieh lieber zu, dass er dich nicht umbringt. Noch steht die Aufforderung zum Duell, und ich befürchte, er wird zu gegebener Zeit, wenn es ihm besser passt als jetzt, darauf zurückkommen.«
Aber Utz hatte wirklich anderes im Kopf, als sich mit Amadeus zu duellieren.
Weil nämlich aus den Kolonien die schlechten Meldungen nicht abrissen, befand er sich bereits mitten in der Abreise. Wenige Tage nach diesem schrecklichen Zwischenfall war ich ihn und Radke, den Fuchs, auf einen Schlag los.
»Mach, was du willst«, hatte mir Utz bei unserem kühlen Abschied vor dem Gutshaus drohend zugezischt, »doch kommt mir zu Ohren, dass du dich noch einmal mit diesem Leutnant triffst, ist er bei meiner Rückkehr ein toter Mann.«
Ich nahm diese Drohung durchaus ernst, hoffte aber, die unverhoffte Gnadenfrist nutzen zu können, um für mich und Amadeus einen Ausweg aus dieser gefährlichen Situation zu finden, ohne unsere Liebe für unsere Leben opfern zu müssen.
U tz war fort und ich begann mich auf Blankensee einzurichten und es mir heimisch zu machen.
Ich hatte inzwischen eine Haushälterin, ein Dienstmädchen und einen Kutscher im Dorf, das etwa fünf Meilen entfernt war, anwerben können, und alle drei waren bereit kräftig mit anzupacken, um zumindest einen Teil des großen Herrenhauses wieder wohnlich herzurichten.
Das Gut umfasste etwas fünfzig Hektar Land, zu dem außer Äckern und Weiden und einem Kiefernwäldchen auch ein vier Hektar großer Park im englischen Stil gehörte, der bis hinunter an den Blankensee reichte, wo ein Bootsanleger ins Wasser hineingebaut war. Eine Stelle, die sogleich romantische Erinnerungen an meine Treffen mit Amadeus an der Spree weckte und an der ich mir bereits ein idyllisches Picknick mit meinem Liebsten vorstellen konnte.
Da früher Pferde gezüchtet worden waren, gab es umfangreiche Stallungen und für die weitere landwirtschaftliche Nutzung von Äckern und Weiden Gerätehäuser sowie eine große Scheune, wobei sich diese Wirtschaftsgebäude aber abseits des Herrenhauses befanden, welches selber pittoresk im verwilderten Park gelegen war.
Das Herrenhaus stammte aus dem 17. Jahrhundert und befand sich lange im Besitz einer adeligen Familie, die es über die Jahrhunderte immer gut gepflegt und modernisiert hatte. Doch schien es im letzten Jahrzehnt diesePflege vermisst zu haben, denn überall roch es modrig, weil undichte Fenster und Dächer an vielen Stellen Regen in das Haus hatten eindringen lassen. Besonders das Dachgeschoss und der Gewölbekeller schienen mir grundlegend sanierungsbedürftig, während das Hochparterre und die erste Etage einen leidlich guten Eindruck machten.
Viele Räume waren noch mit den stilvollen antiken Möbeln der Vorbesitzer ausgestattet und sogar alte Ölgemälde, Stillleben, Landschaften und Porträts
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