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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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recht durch und sah zu, dass ich mir für meine Blutmahlzeiten stets ein feines Fürstensöhnchen griff, denn die ausgemergelten Burschen des Landvolks und der arbeitenden Stände saugten bereits andere aus.
    Ich war mit einer revolutionären Truppe von Luxemburgher durch die Pfalz nach Baden gekommen und hatte mich, als diese in kriegerische Händel verstrickt wurde, durch die Wälder davongemacht.
    Obwohl ich ihre Idee von der Gleichheit aller Menschen teilte und mich durchaus für ihren Kampf um politische Rechte für die besitzlosen Massen begeisterte, war ich müde. Nachdem ich durch die Jahrhunderte hindurch jede Form von Auflehnung gegen Fürstenstaat und Monarchenwillkür letztendlich scheitern gesehen hatte, glaubte ich auch diesmal nicht an einen Sieg der Vernunft. Solange sich mein privater Rachezug gegen die Grafen von Przytulek mit den Zielen der Revolutionäre verbinden ließ, scheute ich nicht davor zurück, auch selbst auf die Barrikaden zu gehen und Fidibusse gegen die Paläste zu schleudern. Friede den Hütten und Krieg den Palästen, wie es der Hessische Landbote frech proklamierte, war eine Devise, die mir aus dem Herzen sprach. Doch das unglaubliche Elend abseits der lauten Parolen und hehren Scharmützel hatte mich mürbe gemacht, und so sehnte ich mich nach einem Ort, wo ich für einige Zeit zur Ruhe kommen konnte, um neue Kraft für meine Seele zu schöpfen.
    Und weil diesmal das Schicksal, das mich ansonsten unerbittlich auf der Fährte der Przytuleks durch halb Europa gejagt hatte, ein Einsehen zeigte, fand ich diesen Ort der Erneuerung bei Agnes Besancour.

    Ich war aus dem Wald getreten und eine Weile an einer einsamen Straße entlanggewandert, als ich in einer Kurve ein auf die Seite gekipptes Fuhrwerk vor mir sah. Zwei Räder in der Luft und mit einem an der Deichsel seltsam verrenkt liegenden Pferd. Das zweite schien entflohen. Als ich mich vorsichtig näherte, denn man konnte vor Räubern nie sicher sein, stellte ich fest, dass es sich um eine sehr ansehnliche kleine Kutsche handelte,die, wodurch auch immer, in der Kurve vom Wege abgekommen und in einen flachen Graben gestürzt war. Der Kutscher lag, bald von mir entdeckt, am Straßenrand und schien so tot, als jemand nur sein konnte, dem die Gedärme aus dem Leibe hingen. Im Inneren der Kutsche jedoch fand ich ein ohnmächtiges, aber anscheinend unversehrtes feines Fräulein vor, aus dessen zarter Nase lediglich ein dünnes blutiges Rinnsal floss. Ihr Anblick rührte mich, und auch wenn ich mir in diesen Zeiten nicht sicher sein konnte, dass sie nicht die in ganz Europa grassierende Cholera in sich hatte, ergriff ich ihre schmale weiße Hand, um nach einem Lebenszeichen zu suchen. Sie fühlte sich eiskalt an und so war mir nicht auf Anhieb klar, ob ihre Besitzerin noch lebte. Also stieg ich in die Kutsche, öffnete Mantel, Kleid und Mieder und horchte nach dem Schlag ihres Herzens. Vermutlich war es ebenso zart wie die ganze Weibsperson, denn es pochte äußerst schwach und sein Schlagen war zwischen den Rippen kaum wahrzunehmen. Allein es schlug, und das war es, was zählte. Ich nahm etwas Branntwein aus meinem Beutel, rieb ihr damit die Arme und den Brustkorb ein, und als sie endlich den Mund zu keuchendem Atmen öffnete, flößte ich ihr davon auch ein paar Schlucke ein. Sie begann zu husten und schlug die Augen auf. Was für ein Blick! Ich glaubte in die reinste Seele zu schauen, die mir je begegnet war, von so klarem Blau waren sie.
    Zu unser beider Glück war sie tatsächlich nicht ernstlich verletzt und, von der Ohnmacht erwacht, auch nicht zimperlich, wie ihr zartes Äußeres mich hatte vermuten lassen. Sie stellte sich mir vor und bedankte sich für meine Hilfe, doch weil sie ohne meine weitere Unterstützung mit einer umgestürzten Kutsche, einem toten Kutscher und einem lahmen Gaul wohl kaum zurechtgekommen wäre, ließ ich ihr noch etwas mehr davon angedeihen. Allerdings war ihre tätige Mithilfe vonnöten, und obwohl sie mir nicht jemand zu sein schien, der seinenLebensunterhalt durch seiner Hände Arbeit verdienen musste, scheute sie sich nicht, feste zuzupacken, während wir gemeinsam den Gaul unter der Deichsel hervorzogen. Er lahmte ein wenig, war jedoch ansonsten unversehrt, und als ich ihn an eines der Kutschenräder band, gelang es uns mit seiner Hilfe tatsächlich, die Kutsche wieder aufzurichten. Sie war ein sehr leichtes Gefährt, was Unfälle begünstigte, doch in diesem Falle wiederum auch unser Glück

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