Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
fragte ich und sah Amadeus misstrauisch an.
»Ich denke, er bleibt besser im Gewölbe … Ich habe ihm ein Getränk mit einem Schlafmittel gegeben.«
»Was hast du?«, fuhr ich ihn empört an.
»Er hätte sich und uns unnötig in Gefahr gebracht«, sagte Amadeus ohne jede Spur von Einsicht und Friedrich stimmte ihm auch noch zu.
»Keine Angst, Louisa, es ist nur ein harmloses Mittel. Deinem … äh … Bekannten … geschieht nichts dadurch und er ist hier wirklich sicherer.«
Klara stürzte in den Salon und erstattete hektisch Bericht. »Ich habe herausgefunden, dass Hannah nicht mehr auf dem Schiff ist, sondern zum Hünengrab gebracht wurde.«
Amadeus schien erleichtert. »Das ist unsere Chance. Wir können durch den Geheimgang unbemerkt in das Innere des Grabes gelangen und von dort aus operieren. Wenn sie Hannah im Grab gefangen halten, können wir sie vielleicht sogar, ohne aufzufallen, befreien und hierher in Sicherheit bringen.«
»Was ist, wenn das aus irgendeinem Grunde nicht möglich ist?«, fragte ich, denn es klang mir alles zu einfach. »Etwa, weil sich alle drei am Hünengrab aufhalten … oder meine Mutter nicht alleine in dem Grab ist?«
»Für den Fall haben wir uns auch schon etwas überlegt«, sagte Klara. »Ich könnte ein Feuer auf seinem Kahn legen und ihn dadurch vom Hünengrab ablenken.«
Das schien mir eine brauchbare Idee zu sein.
»Kommt«, drängte Amadeus. »Ich spüre, dass sie sich bereit machen. Uns bleibt nicht viel Zeit.«
Er führte uns in den Geheimgang, und während wir hindurchschlichen, schärfte er mir ein, so wenig wie möglich an meine Mutter und Utz zu denken. »Ich weiß nicht, ob auch er Gedanken lesen kann, darum solltest du, so gut es geht, deine Gedanken kontrollieren. Wir können uns abschotten, aber du als Mensch bist in der Hinsicht ein Risiko.«
»Hast du wieder etwas Neues gefunden, um deinen Blutkuss zu legitimieren? Dann nimm zur Kenntnis, dass ich meine Meinung dazu auch unter diesen Umständen nicht ändern werde!«
Amadeus zuckte resigniert die Schultern, und Friedrich mahnte uns, jetzt leise und konzentriert zu sein, denn wir hatten den Ausgang unter dem Hünengrab erreicht.
Wir verharrten in angespanntem Schweigen, während Amadeus versuchte, mit der ihm eigenen Gabe zu erspüren, ob sich über uns jemand befand.
»Sie sind nicht direkt im Grab«, sagte er schließlich, »aber ganz in der Nähe. Wir können vorsichtig den Geheimgang verlassen.«
Er schlich leise voraus und ich folgte dicht hinter ihm. Im Grab war es stockfinster, aber durch die Scharten zwischen den Sockelsteinen drang der flackernde Schein von Fackeln, die offensichtlich um das Hünengrab herum aufgestellt waren. Vor dem Steingrab war ein Pfahl aufgerichtet und vor meinen entsetzten Augen zerrte die Werwölfin Grimhilde gerade meine Mutter brutal dort hinüber. Sie legte ihr ein Würgeeisen um den Hals und fesselte ihre Füße mit einem Strick an den Pfahl. Meine Mutter wirkte wie erstarrt und leistete keinen Widerstand. Die schreckliche Szene erinnerte an die Vorbereitung zu einer mittelalterlichen Hexenverbrennung! Ich wäre am liebsten sofort losgestürmt, um ihr zu Hilfe zu eilen.
Aber Amadeus, für den meine Gedanken wieder einmal wie ein offenes Buch zu sein schienen, hielt mich zurück und wisperte: »Noch nicht, bleib ruhig!«
Utz stand mit Schwarzack etwas abseits und hielt eine Peitsche in der Hand, die er immer mal wieder knallend durch die Luft schnalzen ließ. Mir krampfte sich das Herz bei der Vorstellung zusammen, dass ihre brennende Zunge offenbar schon bald über den Körper meiner Mutter lecken sollte. Aus der Chronik wusste ich, zu welcher perversen Brutalität Utz in seinem Hass auf alle Vanderborgs fähig war, und wie in einem Kinofilm liefen im Zeitraffer noch einmal die schrecklichen Folterszenen vor meinem inneren Auge ab, über welche die Chronikaufzeichnungen berichtet hatten.
Ich sah Utz, wie er auf Blankensee Estelle an den Haaren hinter sich her in den Kokskeller schleifte und sie nacktin den Kohlenstaub schleuderte. Ich spürte ihre Qual, als er sie immer wieder von Radke mit allerlei Folterwerkzeugen und mit ausgeklügelter Perfidie malträtieren ließ, während er sich am Anblick ihres sich unter der Pein windenden Körpers delektierte.
Amanda tauchte auf, hingestreckt auf eine Festtafel in der Halle von Schloss Przytulek, die mit Köstlichkeiten und erlegtem Haar- und Federwild überquellend dekoriert war, selbst wie ein erlegtes Tier
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