Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
… ich habe es gleich …« Und endlich fielen tatsächlich die beiden Hälften des Eisenringes auseinander.
Meine Mutter war frei und wir konnten uns in die Arme fallen.
»Schnell«, forderte ich sie dann hektisch auf, »schnell in das Grab …«
Sie sträubte sich. Offenbar hatte sie dort schreckliche Stunden verbracht. Das Kreuz war ihr gewiss nicht von selbst vom Hals gefallen, wahrscheinlich hatte es ihr einer der Werwölfe nicht eben zimperlich abgerissen. Utz durfte damit ja nicht in Berührung kommen.
Der Gedanke ließ mich unwillkürlich nach dem Kreuz greifen.
Hatte nicht Estelle geschrieben, dass ihr Vater und Friedrich auf dem Friedhof von Przytulek mit einem Kreuz die untoten Seelen abgewehrt hatten? Und war nicht auch Amanda von Conrad Lenz und Jakob Vanderborg mithilfe dieses christlichen Symbols aus der Gewalt von Utz gerettet worden?
Natürlich! Er fürchtete wie jeder Vampir den Bann, der von einem Kreuz ausging.
Ich spähte aus dem Grab. Eigentlich hatte ich meine Mutter sofort durch den Geheimgang ins Gewölbe bringen wollen, aber zu meinem Entsetzen schien sich der Kampf nicht zu unseren Gunsten zu entwickeln. Klara war noch immer nicht wieder aufgetaucht, und es sah aus, als hätte Utz die Oberhand über Friedrich und Amadeus gewonnen.
Natürlich war noch nichts entschieden, aber das Kreuz in meiner Hand fühlte sich plötzlich heiß an, so als brannte es darauf, zum Einsatz zu kommen. Amadeus und Friedrich befanden sich ganz offensichtlich in einer ziemlich misslichen Lage, sie waren auf jede Hilfe angewiesen. Was einmal gewirkt hatte, musste doch auch wieder wirken. Und es war sicher besser, Utz zu bezwingen, bevor seine Werwölfewieder auftauchten. Niemand konnte vorhersagen, wie lange Klara sie mit dem Feuer auf dem Kahn ablenken oder ob sie ihnen überhaupt standhalten konnte. Aber den Gedanken wollte ich lieber nicht weiterdenken. Klara durfte ihnen nicht zum Opfer fallen! Mein Entschluss stand fest.
»Mama, du musst jetzt ganz stark sein und hier warten. Rühr dich unter keinen Umständen weg.« Ich zeigte ihr den Einstieg zum Geheimgang. »Aber wenn es für dich gefährlich wird, weil Utz und seine Werwölfe stärker sind als wir, dann flieh durch diesen Gang ins Gutshaus. Da ist Marc, und er wird wissen, was zu tun ist.« Ich nahm ihre Hände und sah ihr flehend in die Augen. »Versprichst du mir das?«
Sie zögerte. »Was … was willst du tun, Louisa?«
»Versprich es!«
Sie nickte. »Ja, ich verspreche es. Aber … was hast du vor? Bring dich nicht in Gefahr … Wer sind diese Leute? Können wir nicht zusammen durch den Gang fliehen … und vielleicht die Polizei …?
Ich fiel ihr ins Wort, denn ich sah, wie Utz Friedrich wie einen Schild vor sich hielt und offensichtlich versuchte, mit dem sich verzweifelt Wehrenden zum Wasser hinunter zu laufen.
Ich zog das Kreuz aus der Tasche.
»Hiermit werde ich Utz bannen«, sagte ich fest entschlossen. »Bitte, Mama, mach was ich gesagt habe.«
Ich drückte ihr einen raschen Kuss auf die Wange und stürmte los. Das Kreuz in der Hand stürzte ich auf Utz und Friedrich zu. Beide zuckten sogleich zurück, und weil Utz seinen Griff dabei lockerte, konnte Friedrich ihm entkommen.
Ich trat näher und hielt Utz mit zitternden Fingern dasKreuz entgegen. Aus der Nähe sah er noch viel bedrohlicher aus. Die Zähne waren gelblich und er strömte einen widerlich animalischen Geruch aus. Geifer lief ihm aus den Mundwinkeln.
Mein Mut sank. Verzweifelt überlegte ich, was Jakob Vanderborg zur Abwehr gerufen hatte? Etwas Lateinisches, das Dämonen und Teufel austrieb … Apage Satanas … oder so ähnlich?
Ich hatte mich mit Teufelssekten, Exorzismen und anderen makaberen Dingen bisher nie beschäftigt. Vielleicht hätte ich es tun sollen, dann wäre ich jetzt fitter. Egal.
Ich griff das Kreuz fester und schrie in höchster Verzweiflung: »Apage Satanas!«
War es die richtige Beschwörungsformel oder das Kreuz oder beides zusammen? Ich wusste es nicht zu sagen. Die Wirkung war jedenfalls umwerfend.
Utz sank wie vom Blitz gefällt in die Knie und wand sich wimmernd wie unter einem Bann.
Friedrich und Amadeus hatten sich aufgerappelt und betrachteten aus gebührendem Abstand ganz offensichtlich verblüfft und fasziniert meine überraschende Aktion.
Mir selbst war es direkt etwas unheimlich, dass der mächtige Vampir Utz, der von meiner Familie so gefürchtet wurde, tatsächlich winselnd vor mir im Staub lag. Allein durch die Kraft des
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