Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
aus dem Röhricht mit ihrem tiefen »Uwump«.
Jetzt hätte ich wohl die vergeigte Prüfung an der Schauspielschule in der Rolle des Käthchens von Heilbronn bestanden, dachte ich. Denn nun hatte ich intuitiv erfasst, wie sich verzehrende Sehnsucht nach einem Mann anfühlte, der einem zuvor nur im Traum begegnet war.
Abspeichern, auf jeden Fall für die Bühne abspeichern, befahl ich mir, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn die Erinnerung an die Begegnung dieser Nacht trug ich von nun an in jeder Köperzelle in mir.
Einen körperlich so anziehenden »Geist« in einer Sturmnacht zu küssen und dabei in Leidenschaft fast zu verbrennen ist das eine, danach wieder in die Normalität zurückzukehren das andere. Ich glühte innerlich vor Glück und war doch zugleich beschämt und niedergeschlagen. Zwar waren Marc und ich nicht wirklich ein Liebespaar, aber auch nicht weit davon entfernt. Und so machte ich mir doch ein paar Gedanken. Betrog ich ihn, wenn ich den Fremden küsste?
Und weil ich dieser unangenehmen Frage lieber aus demWeg gehen wollte, beschloss ich, einfach so zu tun, als wäre auch diese Begegnung nichts anderes als eine Halluzination gewesen, ein Traumgespinst, sehr realistisch zwar, aber eben doch nur ein weiterer Traum.
Ich wusste, dass ich mich belog, denn ganz offensichtlich war es diesmal anders, als all die Male zuvor. Aber ich wollte auf keinen Fall meine gute und problemlose Beziehung zu Marc durch eine … nun, wie sollte ich es nennen … spirituelle Affäre mit einem … was auch immer … Geist … gefährden.
So ging ich innerlich total aufgewühlt, aber äußerlich mit erzwungener Gelassenheit zurück ins Haus, wo Marc im Schlafsack schnarchte. Nur seine straßenköterblonden Haare lugten hervor, und ich musste bei dem Anblick schmunzeln, denn sein Schopf stand wie ein schlecht gearbeiteter Handfeger, durch viel zu viel Betonfestiger gehalten, widerborstig in die Höhe.
Nicht zu fassen, dachte ich, als ich neben Marc in meinen Schlafsack krabbelte, dass eine Begegnung mit einem Geist derart lustvolle und konkrete Gefühle erzeugen konnte.
Ich schloss die Augen, sah den Fremden noch einmal vor mir, attraktiv und wild, dunkel sein Haar und weiß seine Haut, wie die Innenseite einer Auster … so glatt und rein … sein Mund …
Seufzend glitt ich mit dem Bild seiner sinnlichen Lippen hinüber in den Schlaf.
Aber diese Begegnung war nicht das einzig Merkwürdige an Gut Blankensee. Am nächsten Tag hatte ich nämlich ein ähnlich erschreckendes Erlebnis wie bei der Besichtigung des Westflügels auch im Haupthaus.
Ich befand mich auf dem Flur, der zu den Toiletten führte,denn ich hatte nachsehen wollen, ob man sie vielleicht noch benutzen konnte. Ein bisschen Sanitärkomfort wäre natürlich eine große Erleichterung, wenn wir hier mal mit mehreren Leuten übernachten wollten. Stefan, Mandy und Isabell hatten ja angeboten, bei der Renovierung zu helfen und mit Marc und mir vielleicht in den Sommerferien hier zu campierten. Mit ihrer Hilfe konnte ich zumindest versuchen, wenigstens ein paar Räume des Gutes wieder bewohnbar zu machen, sodass man es womöglich schon mal als Wochenend- und Ferienhaus nutzen konnte. Eine funktionierende Toilette und fließendes Wasser wären da schon ganz praktisch. Obwohl es ja um das Haus herum auch genügend Büsche gab, in die man sich mal verpieseln konnte.
Ich grinste innerlich bei dem Gedanken, wie Stefan – von Natur aus völlig nachtblind – mit voller Blase nach draußen stolperte und wie ein Maulwurf herumirrend den Rückweg ins Haus nicht mehr fand. Nein, das konnte ich ihm wirklich nicht zumuten und es war nach Marcs Ansicht auch nicht nötig.
»Fließendes Wasser kriegen wir hin«, meinte er. »Wenn die Rohrleitungen intakt sind, müssen wir nur die Pumpe wieder in Gang setzen. Wie mir scheint, verfügt das Gut nämlich über einen eigenen Brunnen. Den Strom müsste man wieder anmelden, elektrifiziert ist das Gut ja. Aber da würde ich doch lieber erst einmal alles durchmessen und ein paar alte Leitungen ersetzen, nicht dass uns noch etwas durchschmort und die ganze Hütte abfackelt.«
Ich lachte und machte mich also hoffnungsfroh auf den Weg, um die Toiletten im Erdgeschoss des Gutshauses zu inspizieren.
Da sich im Haupthaus die Küche und offenbar der Speisesaalfür die LPG und den Jugendwerkhof befunden hatten, waren die Toilettenanlagen etwas größer ausgelegt und auch wieder nach Geschlechtern getrennt.
Gerade
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