Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
reden, wenn du die ersten Arbeitsstunden abgeleistet hast und die Hütte danach noch steht.«
»Hauptsache, Stefan steht danach noch«, meinte Isabell grinsend. »Lehramtsstudenten zeichnen sich im Allgemeinen nicht durch besondere Fitness aus … jedenfalls nicht, wenn sie Deutsch und Geschichte studieren.«
Stefan warf ein Sofakissen nach ihr und bald war die schönste Kissenschlacht zwischen den beiden im Gange.
Marc zog mich in sein Zimmer. »Komm, lass die. Was sich liebt, das neckt sich.«
»Meinst du echt, bei denen läuft was?«
»Vielleicht … warum nicht … bei uns läuft doch auch was, oder?«
Er zog mich an sich, und ich ließ es zu, dass er mich küsste, und obwohl oder gerade weil seine Küsse in letzter Zeit sehr viel leidenschaftlicher geworden waren, musste ich plötzlich wieder an den attraktiven Fremden aus meinen Träumen denken. War er es, der mir bei meinem ersten Besuch auf Blankensee vom Steg aus zugewunken hatte? War er wirklich nur eine Illusion oder war er so real wie der Graf Wetter vom Strahl, der dem Käthchen von Heilbronn in seinem Traum erschienen war, genauso lebhaft wie mir der geheimnisvolle Fremde vom See.
Marc merkte, dass meine Gedanken von unserem Kuss abschweiften. »Woran denkst du?«
»An das Käthchen von Heilbronn«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Er lachte, und es klang leicht verwundert, als er fragte: »Das Käthchen von Heilbronn? Hattest du das nicht für immer und ewig vergessen wollen, nachdem du damit beim ersten Mal durch die Abschlussprüfung gefallen bist?«
Ich nickte. »Ja, das stimmt, aber irgendwie stößt es mir manchmal wieder auf …«
Marc grinste und meinte ironisch: »Na, dann lassen wir das mit dem Küssen jetzt besser … nicht dass du noch dabei rülpsen musst.«
Hatte ich gesagt, ich würde seinen Humor mögen? Ein wenig … äh … speziell war er manchmal schon.Auch am ersten Maiwochenende fuhren wir wie meistens in letzter Zeit wieder mit dem Motorrad nach Blankensee. Diesmal hatten wir unsere Schlafsäcke zum Übernachten dabei und allerlei Materialien, die Architekten brauchten, um zu vermessen und zu zeichnen.
Der Samstag begann sonnig und war außerordentlich warm und wir kamen gut voran. Doch offensichtlich war es für die Jahreszeit schon zu heiß gewesen, denn gegen Abend zogen dunkle Gewitterwolken über den See heran und bei auffrischendem Wind brach ein regelrechtes Unwetter über uns herein. Der Regen rauschte wie ein Sturzbach auf uns nieder, und es war für Marc nun ein Leichtes, die undichten Stellen im Haus zu katalogisieren.
»Hat doch auch was Gutes«, meinte er mit seinem unverwüstlichen Humor, während ich zähneklappernd auf unserem Campingkocher Teewasser bereitete.
Das Unwetter schien nicht aufhören zu wollen, und so krochen wir irgendwann, als es dunkel wurde, erschöpft in die Schlafsäcke.
»Morgen scheint wieder die Sonne«, versuchte Marc mich aufzuheitern. »Schlaf gut, Loulu! Oder soll ich dich noch ein bisschen wärmen?«
»Nein, lass mal«, winkte ich ab. »Ich komme schon klar.«
Er schlief auch bald wie ein Murmeltier.
Ich mochte Marc wirklich, und es fiel mir leicht, mit ihm partnerschaftlich in der WG zu leben. Ja, ich hatte gelegentlich sogar schon mal darüber nachgedacht, ob ich mir vielleicht noch mehr vorstellen könnte … Er offenbar auch, aber als er davon sprach, klang es ein bisschen wie eine rational durchdachte Operation »bürgerliches Eheglück«. Dazu war es mir aber entschieden zu früh. Ich hatte da eher an … nun ja … erst mal Sex wäre doch auch schon ganz schön.
Aber vielleicht war ich auch eine rettungslose Romantikerin, die auf die große Liebe wartete und nicht mal für eine wilde Affäre taugte, wie sie Isabell zurzeit sichtlich mit Sören, einem angesagten Kameramann, genoss. Mit ihr und Stefan hatten wir offenbar gründlich danebengelegen.
Vielleicht hemmten mich tatsächlich diese merkwürdigen Träume, die mich immer wieder heimsuchten. Ja, ich glaubte fast, dass ich unbewusst tatsächlich auf den Unbekannten aus meinen Träumen wartete. Und wenn ich mit einem Mann, wie zum Beispiel Marc, zusammen war, so hatte ich das Gefühl, ihn zu betrügen. Das war eine ziemlich schizophrene Situation.
Zwischenzeitlich waren die Träume zwar seltener geworden und hatten an Kraft verloren, aber seit das Gut nun auf mich überschrieben war, hatten sie an Häufigkeit und Intensität wieder zugenommen. Darum war ich mir inzwischen sicher, dass sie irgendwie mit dem
Weitere Kostenlose Bücher