Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
Produktion, und da ich, vermutlich weil ich schon einmal durch die Prüfung gefallen war, nun besonders glänzen musste, war mir in der Elektra von Hugo von Hofmannsthal auch noch die Titelrolle zugeschoben worden. Ich selbst hätte mich da niemals herangewagt, aber nun blieb mir nichts anderes übrig, als mich voll reinzuhängen. Das Ganze ließ sich sehr zäh an und ich war in der letzten Woche abends völlig ausgepowert ins Bett gefallen oder musste noch neuen Text lernen.
Besonders anstrengend fand ich es zudem, Rogers Modernisierungsvorstellungen des Stoffes umzusetzen. Die Regiestudenten litten doch alle an Größenwahn und galoppierendem Irrsinn. Wenn die nicht einen Dramatiker komplett vergewaltigen konnten, waren sie nicht zufrieden, und die Professoren förderten diese Art zerstörerischerKreativität auch noch. Wurde nicht ordentlich gepoppt, gekotzt, schrill gelitten und blutig gemordet, war die Inszenierung ein Flop und das Regieteam durchgefallen.
Na ja, bei der Elektra bestand an all dem, was heute angesagte Theaterkunst ausmachte, ja kein Mangel. Da tropfte das Blut nur so und Sex und Crime gab es satt.
»Einmal nur einen Klassiker werkgetreu auf die Bühne bringen«, seufzte ich am Küchentisch, »das wäre traumhaft!«
Worauf Isabell meinte, dass es beim Film auch nicht anders sei. Sie blätterte in einem nachlässig gehefteten »Lappen«.
»Dieses Drehbuch ist jetzt schon so oft umgeschrieben worden, dass man die Originalstellen des Autors kaum noch wiederfindet – falls überhaupt noch welche drin sein sollten!«
»Wie im Expressionismus«, sagte ich. »Zerstörung der Traditionen und Neuschöpfung!«
Isabell schaute mich fragend an. »Klingt gelehrt. Woher hast du das?«
»Habe ich mal irgendwo gelesen. War so um 1914 eine literarische Bewegung … krass und extrem. Käme bei meinen Profs bestimmt gut an.« Ich holte das Brot aus dem Schrank. »Was macht dein Film?«, fragte ich sie und schob zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster.
»Läuft super. Sören ist allerdings in dieser Woche nicht da, er macht für einen Verlag ein paar Buchtrailer. Von etwas muss er ja leben.«
»Sören? Der Grund für dein neuerdings so erfülltes Sexualleben?«
Sie grinste. »Ja, ich mache einen Kurzfilm mit ihm. Er meint, ich hätte so ein ephemeres Wesen … das … äh … genau … hätte er gesucht.«
»Ephe… was?«
»Ephemer.«
»Und das heißt?«
»Keine Ahnung. Hauptsache ich hab’s, denn Sören ist wirklich ein toller Typ … Mit dem wollen alle mal filmen. Der wird mal ein ganz Großer!«
Solche angesagten Kamerastudenten gab es leider nur an der Filmhochschule, und natürlich waren die da von Mädchen heiß umschwärmt, weshalb ich mich freute, dass Isabell es geschafft hatte, sich einen aus dieser raren Spezies zu angeln. Vermutlich wegen ihrer Rehaugen, die gaben ihr so etwas Unwirkliches, Märchenhaftes und hatten diesen Sören bestimmt gleich verzaubert. Der war doch garantiert nicht nur wegen des Films an ihr interessiert!
Ich seufzte. Vielleicht sollte ich doch mal mit Marc … Immer nur Traumsex war ja auch nicht das Wahre. Wäre doch mal schön … so ganz entspannt …
Ich riss mich zusammen und schob diese im Moment völlig unpassenden Gedanken fort. Wir wollten heute schließlich arbeiten!
Isabell stellte den Kaffee auf den Tisch und ich legte ihr eine von den Toastscheiben auf den Teller. Sie kratzte einen Hauch von Margarine drauf und nagte dann mit langen Zähnen daran, während sie in kürzester Zeit zwei Becher Kaffee runterstürzte.
»Magersucht?«, fragte ich ironisch.
Sie grinste. »Nö, aber für den Film muss ich etwas abgehärmt aussehen …«
»Das beruhigt mich.«
»Was war das denn gestern mit deiner geistigen Gesundheit?«, lenkte sie schnell von dem prekären Thema ab.
Ach herrje, darauf wollte ich jetzt eigentlich nicht zusprechen kommen. Aber dann platzte es doch aus mir heraus. Ich erzählte von den seltsamen Andeutungen meiner Mutter, ihrer Phobie vor Blankensee, von den unheimlichen Geräuschen, die aus der Toilette gedrungen waren, und meiner Panikattacke … Kurz: Es sprudelte alles aus mir raus, was ich auf keinen Fall irgendjemandem sagen wollte.
»Merde!«, fluchte ich darum auch, als ich mich endlich leer gequatscht hatte. »Warum hast du mich nicht unterbrochen?«, sagte ich Isabell vorwurfsvoll, die immer noch an dem gleichen Toast knabberte und mir geduldig zugehört hatte.
»Negative Energie«, sagte sie schließlich nachdenklich.
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