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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Gut zusammenhingen.
    Entweder war der gut aussehende Fremde ein Geist aus der Vergangenheit, der mir etwas sagen wollte oder … Ja, was oder? Ein Geist, der sich in mich verliebt hatte? Das gab es doch nur in Hollywood. Ein absolut absurder Gedanke, aber wiederum auch sehr spaßig. Ich zog mir den Schlafsack bis zum Kinn und versuchte ebenfalls einzuschlafen.
    Aber wie so häufig hatte mich eine nächtliche Unruhe befallen. Und weil die Luft im Haus dumpf und muffig war, zog es mich, als der Regen aufgehört hatte, hinaus in die erfrischende Nacht.
    Der Sturm heulte zwar noch, und gewiss hätte Marc mich zurückgehalten, aber ich scheute den Wind nicht. Sein Brausen in den Baumwipfeln gefiel mir, rüttelte auchmich auf, ließ mich spüren, wie viel Energie und Lebendigkeit in mir war, wenn ich mich dieser Urgewalt furchtlos entgegenwarf. Meine Schritte lenkten mich unbewusst hinunter zum See. Da war der Orkan noch stärker. Die Birken bogen sich fast bis zum Boden und im Schilf erzeugte der Wind ein unheimliches Pfeifen. Das beschauliche Gewässer warf aufgepeitscht richtige Wellen auf, die sich mit weißer Gischt am Steg brachen und weit über das Ufer schwappten.
    Der bisher meistens glatte Spiegel des Sees war nur noch ein wildes, wogendes Auf und Ab der Wassermassen, die der Wind durchquirlte wie mit einem riesigen Schneebesen!
    Ein Lächeln stahl sich bei dieser Vorstellung auf meine Lippen. Ich war in diesem Moment eins mit mir und der mich umgebenden Natur und sehr glücklich, dass ich das Wagnis mit dem Gut auf mich genommen hatte. Wie schade wäre es doch gewesen, wenn es nicht in der Familie geblieben wäre.
    »Ja, sehr schade«, sagte plötzlich eine warme, dunkle Stimme hinter mir und im selben Momente zog mich der inzwischen aus vielen Träumen so vertraute Fremdling in seine Arme. »Dann könnte ich dich nämlich jetzt nicht küssen und …«
    Sein Satz brach abrupt ab, denn unsere Lippen hatten sich gefunden, und wie zwei Ertrinkende standen wir, umtost vom Sturm, in der Gischt der um unsere Füße auslaufenden Wellen und versanken in einem Kuss, der die Welt um uns fortspülte und nur noch Glanz, Licht und unendliches Glück war.
    Niemals hatte mich jemand so geküsst, und als wir nach einer ungezählten Ewigkeit kurz zum Atemholen voneinanderließen, da drängte es uns sofort wieder zusammen, um im nächsten Sinnenrausch zu versinken. Eins dem anderen hingegeben, einander ganz umfangend … Bald standen wir splitternackt im Sturm und bewegten unsere Körper auf seinem Atem, anschwellend und abebbend, bis wir von seiner Faust geschüttelt in zuckender Ekstase auf dem Steg niedersanken und vom weißen Schaum der Wellen beleckt auf den Höhepunkt zutrieben. Der Sturm riss mir den erfüllten Schrei von den Lippen und wehte ihn fort. Vielleicht würde er irgendwo von anderen Liebenden gehört werden und ihnen von uns erzählen … von unseren Träumen, unserer Sehnsucht und unserem Glück, uns endlich gefunden zu haben.
    Es ist ein Traum, dachte ich, es ist wieder nur ein Traum. Das passiert mir nicht wirklich. Nicht hier und jetzt in diesem Sturm. Aber es war kein Traum.
    Es war ein echter Sturm und ein Orkan echter Gefühle, der mich hinwegfegte und der eine Liebe gebar, die von Anfang an wild, ungenügsam, fordernd und von tödlicher Leidenschaft war.
    »Wie ist dein Name?«, fragte ich, als wir Arm in Arm einander fest umfassend auf den sturmgepeitschten See hinausschauten. »Wie heißt du? Ich möchte endlich an dich mit einem Namen denken.«
    Der Fremde nahm meine Hand, führte sie zum Mund und küsste sanft meine Fingerspitzen. Er sagte etwas, aber der Wind verwehte seine Worte, so als wollte er nicht erlauben, dass sein Inkognito aufgedeckt wurde. Und so blieb er für mich weiter namenlos.
    Er verschwand, wie er aufgetaucht war, und erneut war ich mir nicht sicher, ob nicht auch diese Begegnung nur ein Traum gewesen war.
    Aber als ich die Finger, deren Spitzen er eben noch geküsst hatte, an meine Lippen führte, da war es, als würde eine unsichtbare Energie auf mich übergehen und mich mit einer unglaublichen Kraft aufladen. Zugleich breitete sich in mir die absolute Gewissheit aus, dass das, was ich eben erlebt hatte, tatsächlich Wirklichkeit gewesen war. Eine leidenschaftliche, faszinierende, stürmische Wirklichkeit.
    Als ich langsam und noch wie betäubt durch den abklingenden Orkan zum Gutshaus zurückging, begleitete mich dumpf wie ein australisches Didgeridoo der Ruf einer Rohrdommel

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